Buch «Wie viel ist genug?»

Buch «Wie viel ist genug?»

Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens

Zum zweiten Mal in diesem Frühjahr stellt ein Buch die Frage: Wann haben wir eigentlich genug Güter und Zerstreuungen angehäuft, dass wir uns zurücklehnen und den Kanon vom Wachstum unbeschwert in der Ferne verklingen lassen? Robert und Edward Skidelskys Antwort ist: Nie. Zumindest nicht, solange wir in Wertekonfusion verharren und Geld als Selbstzweck behandeln.

 

Autor  Robert Skidelsky / Edward Skidelsky
Verlag  Antje Kunstmann Verlag
Umfang  319 Seiten
ISBN  978-3-88897-822-7
Preis  Fr. 28.50 (UVP)

 

Robert Skidelsky ist Wirtschaftswissenschaftler, sein Sohn Edward Philosoph. So verwundert es nicht, dass es genau diese zwei Disziplinen sind, die sich in ihrem Buch tiefgründig und leserfreundlich verbinden. Dieses startet mit dem Spezialgebiet des Vaters Skidelsky: John Maynard Keynes. Die Hoffnung dieses - keineswegs unkritisch kapitalismusfreundlichen - Ökonomen war, dass sich der Kapitalismus mit seinem Wachstumsdrang von selbst auf einem menschenfreundlichen Niveau einpendeln werde, sobald er die grundsätzlichen Bedürfnisse der Menschen in seinem Einflussfeld sichergestellt habe. Sein Fehler war, dass er die Begierden mit den natürlichen Bedürfnissen gleichsetzte. Dass erstere im Angesicht von Wohlstand nicht plötzlich stillhalten, das erleben wir tagtäglich und am eigenen Leib. Ausgehend von einer Klarstellung dieser essentiellen Unterscheidung und einer klaren ethischen Ächtung der Habgier stellen die Autoren die Frage nach dem Guten Leben. Sie forschen danach in der Philosophie- und Wirtschaftsgeschichte, bei Aristoteles oder Goethe genauso wie bei Marx und Marcuse, und legen scharfsinnig dar, wie die Verquickung von Geld- und Lebenswerten in das Hamsterrad mündeten, dessen wahnhafter Geschäftigkeit wir uns zu entziehen so schwertun. Ihre Kritik am wirtschaftlichen Status Quo ist damit eine ganz grundsätzliche. Sie lehnen die Wachstumsdogmatik nicht nur deshalb ab, weil sie sich als zerstörerisch oder ausbeuterisch erweist, sondern weil sie unsinnig ist. So ist auch ihre folgende, abschlägige Beurteilung der ökonomischen Glücksforschung, die das BIP mit einer umfassenderen Zufriedenheitswertung der Bevölkerung ersetzen will, sowie der Nachhaltigkeitsbewegung dergestalt zu verstehen, dass diese nach ihrer Ansicht am Kern des Problems vorbeiführen. Stattdessen legen sie im letzten Teil ihres Buches ihre Zusammenstellung der Basisgüter dar, die dem angestrebten Guten Leben zu Grunde liegen sollten. Gesundheit und Sicherheit sind hier aufgeführt, Freundschaft, Respekt und Harmonie mit der Natur ebenso. Zu der Frage, wie diese Werte in einer zukünftigen Gesellschaft zu verwirklichen wären, diskutieren sie abschliessend und in der jetzt bereits gewohnten argumentativen Prägnanz das Grundeinkommen und sinnige Massnahmen zur Minderung des Konsumdrucks.

Die den Text überdachende Vision wird von den Autoren in einem einzigen Begriff zusammengefasst: Musse. Sie meinen damit nicht die Verunglimpfung des Wortes, das es mit Faulheit oder, noch schlimmer, einem feudalistischen Eliteprivileg gleichsetzt, sondern schlicht die Freiheit zur möglicherweise zwecklosen, aber selbstbestimmten und sinnstiftenden Aktivität. Diese Musse erweist sich in ihren Ausführungen als erstaunlich belastbares und vielseitiges Ideal, das einer Gesundung unserer aus dem Lot geratenen Wirtschaftsweise mit ihrem Kreditunwesen und ihrer Produktion für die Müllhalde vorstehen könnte. Uns sind zwar während der gesamten Lektüre Fragen und Einwände durch den Kopf gewandert. Beispielsweise halten wir den scharfen Anthropozentrismus der Autoren für ein wenig überzeugendes Mittel, "Harmonie mit der Natur" anzupeilen, und es wurde uns ebenfalls nicht recht klar, wie nun genau ihre Lösungsansätze die globale Wohlstandsverteilung einebnen sollen. Grundsätzlich haben wir auch Zweifel an der Erfolgsaussicht eines Umbruchs, der einen moralischen Gesinnungswandel von namhaften Anteilen der industriestaatlichen Bevölkerung voraussetzt. Das ändert jedoch nichts an unserer herzlichen Empfehlung dieser gescheiten und unterhaltsamen Streitschrift. Robert und Edward Skidelsky heben mit ihrem Buch einen ausserordentlich machtvollen Begriff zurück ins Bewusstsein, der spätestens nach dem abschliessenden Zuklappen des Buches jede Altertümlichkeit abgelegt hat und sich als hinreichend verheissungsvoll herausstellen könnte, unsere Einwände niederzustrecken. Sie haben damit etwas tatsächlich Neues zu bieten, das sich nicht einmal in einer gefälligen Absage an die Marktwirtschaft üben muss, um einen erfrischenden Duft von Aufsässigkeit zu verbreiten. Musse. Ja, wäre das nicht was?

Rezension: Sacha Rufer

 

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