Autor | Colin McAdam |
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Verlag | Wagenbach Verlag |
Umfang | 283 Seiten |
ISBN | 978-3-8031-3253-6 |
Preis | Fr. 28.50 (UVP) |
Ohne dem Roman des kanadischen Literaten Colin McAdam viel wegzunehmen, können wir voranstellen: Nein, tut es nicht. Oder doch? Als Walt und Judy auf nicht ganz koscherem Weg das Affenbaby Looee adoptieren, haben sie so gut wie keine Ahnung von Schimpansen. Stattdessen sind sie reichlich mit Liebe und Einfühlungsvermögen gesegnet, und anfangs reicht das bestens aus. Während Looee in einer Atmosphäre von Geborgenheit und Langmut heranwächst, lässt uns der Autor an den Leben weiterer Schimpansen teilhaben: Mr. Ghoul, der in einer Forschungsstation mit dem Forscher Dave kommuniziert, und Podo im Freigehege, vollauf beschäftigt mit seinem komplizierten Familienleben. Er gibt diesen eine jeweils eigene Stimme, und spätestens jetzt wird offensichtlich, dass Colin McAdam gut recherchiert und wohl auch einige Zeit damit verbracht hat, Schimpansen genau zu beobachten. Um in diesen Abschnitten die nonverbalen Gedanken und Wahrnehmungen seiner Protagonisten einzufangen, kreiert er Sätze und Metaphern, die auf den ersten Seiten noch etwas überzogen artistisch erscheinen, aber dann tatsächlich die Denkmuster des Lesers herausfordern und ganz eigene Rhythmen und Atmosphären erschaffen. Während in diesen Mensch/Schimpanse-Konstellationen Mr. Ghoul und Looee immer menschenähnlicher und die Menschen immer schimpansiger werden, kommt Looee in die Pubertät. Seine Bedürfnisse und seine mangelnde Triebhemmung reiben sich zunehmend an einer Umgebung, die ihm keine ebenbürtige Gesellschaft bieten kann. Seine frustrierten Gelüste und ins Leere laufenden Machtdemonstrationen kumulieren in Provokationen und einem gefährlichen Gewaltausbruch. Der Clou: Wir kennen ihn und seine Gefühle nur zu genau, und wir fühlen mit ihm. Doch ebenso verstehen wir, dass Walt und Judy jetzt überfordert sind. Looees Reise geht weiter, erst in eine grausame Versuchsstation, die wir kaum besser durchschauen als er, und dann, doch noch, zu den anderen Schimpansen, die wir kennengelernt haben...
Wären wir Zoologen, würden wir wohl schon im groben Setting des Buches die Ursünde der Vermenschlichung von Tieren wittern. Und ganz falsch lägen wir damit nicht. Doch auch als Zoologen könnten wir dem Autor kaum böse sein. Sein Buch ist die literarische Antwort auf die von immer mehr Forschern geforderten Persönlichkeitsrechte für kognitiv hoch entwickelte Tiere wie Primaten oder Delfine. Als Roman kann es anderes leisten als ein Sachbuch, und das tut es dann auch. In unserer empathischen Teilnahme am Schicksal von Schimpansen, die Colin McAdam so gekonnt in Szene setzt, kommen wir zu den gleichen Schlüssen wie die Fachmannschaft. Nirgends empfiehlt er uns die sentimentale Annäherung oder gar eine Adoption von Affen. Er schafft nur ihrer Würde und Eigenart eine angemessene Bühne. Auch lässt er das „Experiment" nicht hämisch fehlschlagen, sondern gibt ihm in Gestalt von Walt, Judy oder Dave menschliche Wachstumsdimensionen. Aus der auf die Probe gestellten Herzenswärme der Eltern oder dem zwiespältigen Respekt des Forschers ziehen wir ebenso emotionalen und reflektierten ethischen Gewinn wie aus dem belebend (und auch beängstigend) unverstellten Zugang von Looee oder Podo zu ihren Emotionen und Trieben. Was macht uns, als Menschen, aus, was unterscheidet uns vom Affen? Diese Frage findet keine eindeutige Antwort. Sie wird ersetzt durch Verständnis und die Bereitschaft zur Einfühlung. Schimpansen sind keine Menschen, sagt uns der Roman. Aber sie sind uns nahe genug, um Personen zu sein.
Die schöne Wahrheit? Wir sind nicht allein.
Rezension: Sacha Rufer
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