Autor | Jostein Gaarder |
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Verlag | Hanser Verlag |
Umfang | 187 Seiten |
ISBN | 978-3-446-24312-5 |
Preis | Fr. 21.90 (UVP) |
Nora hat eine eigenartige Gabe. Sie träumt sich nachts in die Körper und Leben anderer Leute. Ist das eine Folge ihrer sprudelnden Fantasie? Eine Geisteskrankheit? Oder überwindet sie mit ihrem hellen Köpfchen tatsächlich Raum und Zeit? Ganz egal: Als auf diese Weise Nova, ihre Urenkelin, sie teilhaben lässt an ihrem Leben im Jahr 2084, verändert das ihr eigenes Dasein auf dramatische Weise. Sie gründet sogleich eine Umweltgruppe. Denn die Welt von 2084 ist vom Klimawandel, vom Artensterben und der Ressourcenarmut schwer gezeichnet... Als George Orwell damals sein Jahrhundertbuch „1984" entwarf, geschah dies vor dem Hintergrund des Traumas des Totalitarismus. Sein Entwurf eines diktatorischen Überwachungsstaates spiegelte mehr die Sorgen und Ängste seiner Zeit wieder, als dass er sich in Prophetie versuchte – so prophetisch er sich auch später und in jüngerer Zeit immer mal wieder erweisen sollte. Wenn Jostein Gaarder sich hier anhängt, dann wohl mehr mit der Absicht einer literarischen Referenz als mit dem Wunsch, seine eigene, unabhängige ökologische Dystopie möge sich als ähnlich vorausahnend erweisen. Deshalb verfolgt sein Buch zwei verwobene Handlungsstränge: In der Zukunft, in der Nova die Folgen der Sünden unserer Gegenwart begreift und erkundet, und – ungleich hoffnungsträchtiger – in der Gegenwart, wo Nora mit zunehmender Verve und ausgreifendem Informationshunger gegen diese Sünden ankämpft. In der Folge ergibt sich ein etwas zerfaserndes Buch, das nicht nur zwischen Heute und Morgen, sondern auch zwischen Erzählung und Wissensvermittlung pendelt. Flüssige Prosa wechselt mit Fachessays und dem trockenen Tonfall von erfundenen Zeitungsmeldungen. Das kann man so machen, muss man aber nicht. Genauso übrigens wie man der Heldin Nora eine etwas lebendigere Rolle als jene eines wandelnden Gewissens hätte auf den Leib schreiben können. Oder wie mit dem narrativen Werkzeug des Zeitstroms spannendere Ursache-Wirkung-Spielchen möglich gewesen wären. Aber hätte, wäre, sollte: Das Buch bleibt gleichwohl eine wohltuende Ausnahmeerscheinung im Schwung der Jugendbuchneuheiten. Unsere Kritik soll mehr der Vorjustierung von Erwartungen als einer Bemängelung des Inhalts dienen.
Der Roman ist also kein luftiges Gesäusel für den Sandstrand. Sogar die obligatorische Liebesgeschichte zwischen Nora und ihrem Freund Jonas tritt zurück vor einer grösseren: Jener mit dem lebendigen Erdball. Es ist ein leises, nachdenkliches Buch, das sich der vertieften Auseinandersetzung mit den Fragen unserer Zeit verschrieben hat. Es hat einiges an Wissenswertem beizutragen, wenn es die Problematiken ums Öl, um den Kohlendioxidausstoss oder die Vernichtung von Lebensräumen unbeschönigt auf den Punkt bringt. Doch es zielt darüber hinaus. Jostein Gaarders Buch legt einen Grundstein für eine ökologische Ethik, die auch zukünftige Generationen in ihre Überlegungen einschliesst, und schlägt eine Brücke vom geordneten Denken zum zweckvollen Handeln. Diese Zielsetzung unterstützend lernt seine Heldin, Informationen aus Internet und Medien zu hinterfragen und nachzuverfolgen. Das Buch lehrt, dass die Wut auf die achtlosen Altvorderen – uns – berechtigt ist. Und wie man sich daraus zur handelnden Hoffnung hin löst.
Rezension: Sacha Rufer
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