Buch «Artgerecht ist nur die Freiheit»

Buch «Artgerecht ist nur die Freiheit»

Eine Ethik für Tiere oder Warum wir umdenken müssen

Die Diskussion um Tierrechte ist noch nicht ganz in der breiten Öffentlichkeit angekommen. Doch die Zeichen – darunter nicht zuletzt die verstärkte Publikationsbereitschaft der Verlage zum Thema – mehren sich, dass sie sich bald bis dahin vorgekämpft haben wird. Hilal Sezgins Buch ist hier eine wesentliche, nämlich die philosophische Stimme zu einem Fragenkomplex, der uns alle nicht nur auf der tierschützerischen, sondern auf der breiten ökologischen Ebene angeht.

 

Autor Hilal Sezgin 
Verlag  C.H. Beck
Umfang  301 Seiten
ISBN  978-3-406-65904-1
Preis  Fr. 25.90 (UVP)

 

Das Buch der Philosophin, Kolumnistin und Tierschützerin Hilal Sezgin ist ein schwieriges Buch. Nicht, weil es sich bei seiner kritischen Aufarbeitung unserer ethischen Position betreffend der Behandlung von Tieren einer unverständlichen Fachsprache bediente oder sich in akademischen Spitzfindigkeiten verlöre. Dass die Autorin genau dies gekonnt vermeidet und uns stattdessen mit eingängigen Beispielen und einer klaren Sprache verwöhnt, ist sogar eine erste lobenswerte Stärke des Buches. Auch nicht, weil es ein besonders radikales Buch wäre. Diese Radikalität, die sein Titel verspricht, ist zwar durchaus aufzuspüren, aber sie ergibt sich mehr aus einer geradlinigen Argumentation als aus ideologischer Fixierung und wird zudem von der emotionalen Fassbarkeit der Autorin hilfreich abgefedert. Nein, es ist ein schwieriges Buch, weil schon die rein menschliche Moral ein weitaus unsteteres und nebulöseres Forschungsgebiet ist, als unsere Alltagserfahrung uns vortäuscht. Es ist ein schwieriges Buch, weil unsere Bewertung der Würde der Tiere an sich – ganz zu schweigen von spezifischen Tierarten – voller Widersprüche und subjektiver sowie kultureller Befangenheiten ist. Es ist also ein schwieriges Buch, weil es sich durch einen Wust von Wertzuweisungen, Begriffsbestimmungen und Beweismitteln aus unterschiedlichen Fach- und Lebensbereichen wühlen muss, um sich seinen Antworten kompetent und angemessen zu nähern. Dass ihm das mit einiger Eindeutigkeit gelingt, ist ein zweites grosses Lob wert. Hilal Sezgin setzt zwar ein gewisses Grundwissen voraus. Sie hält sich nicht damit auf, uns die Vergehen der Fleischindustrie noch einmal anschaulich zu machen, sondern verweist diesbezüglich auf Foers ‚Tiere essen' oder (bezüglich der politisch-rechtlichen Aspekte der Tierethik) auf ‚Zoopolis'. Daran anknüpfend stellt sie drei Fragen: Dürfen wir Tiere quälen; töten; nutzen? Ihre Erkundung der labyrinthischen Gefilde zwischen Eigennutz und Tierliebe und die Suche nach einem tierfreundlicheren Weg hindurch wird dann zu einer Herausforderung nicht nur unserer ‚humanen' moralischen Gesinnung, sondern des gesamten dahinterstehenden Weltbildes. Ihre abschliessende, zwar noch etwas unscharfe, aber immerhin fassbare Vision eines gleichberechtigteren Zusammenlebens mit den anderen irdischen Tieren beweist sich schliesslich als eine sehr willkommene Handreichung zu einer konsequenteren eigenen Meinungsbildung.

Das Buch richtet sich an ein bereits vorgängig engagiertes Publikum. Diesem wird Hilal Sezgins Antwort auf die obengenannten drei Fragen – ein dreifaches Nein – wohl etwas leichter durch die Synapsen rutschen als einem Metzger oder Jäger. Dennoch möchten wir das Buch über dieses vorbelastete Publikum hinaus empfehlen. Während der Lektüre verschiebt sich fast unmerklich das bequeme, da überlieferte Weltbild von uns Menschen hier; all high and mighty, und den Tieren dort; zu unserem Nutzen und Frommen, in Richtung einer realistischeren Sichtweise von uns Menschen als eingebundene und abhängige Mitglieder einer umfassenden Lebenswelt. Diese Verschiebung ist nicht nur bezüglich der drängenden Fragen des Tierschutzes, sondern für alle zukunftsweisenden ökologischen Aufgaben bedeutungsvoll. Wir stimmen nicht überall punktgenau mit Hilal Sezgin überein. So schiene uns eine stärkere Einbeziehung der biologischen Sichtweise, ergänzend zur philosophischen, wichtig. Überhaupt ist der Rezensent grundsätzlich eher im ökologischen Lager zu finden und will, ganz anthropozentrisch, Tiere und Biodiversität gerade auch zum Wohlergehen des Menschen schützen. Das tut aber nichts zur Sache, dass sich jeder Widerspruch, der sich während der Lektüre bei ihm regte, im Kontext der Argumentation der Autorin als fruchtbar und bereichernd erwies. Ihr Buch ist die bislang hilfreichste und befriedigendste Annäherung an jenes abschliessende, alleinseligmachende Buch zur Tierethik, das es wahrscheinlich niemals geben wird.

Rezension: Sacha Rufer

 

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