Autor | Thomas D. Seeley |
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Verlag | S. Fischer Verlag |
Umfang | 317 Seiten |
ISBN | 978-3-10-075138-6 |
Preis | Fr. 35.90 (UVP) |
Wenn in einem Bienenvolk junge Königinnen heranwachsen, wird die alte Königinmutter aus dem Stock gedrängt und sucht mit einem Grossteil ihrer arbeitenden Tochterschaft eine neue Bleibe. So hängt dann eine Traube von Bienen irgendwo an einem Ast, während Kundschafterinnen auf der Suche nach einer geeigneten Wohnhöhle ausschwärmen. Die Wahl dieser neuen Wohnung ist eine Frage auf Leben und Tod: Entspricht sie in zu vielen kleinen Details nicht den Anforderungen bezüglich Schutz, Nahrung, Wärme- und Feuchtedämmung oder Raumvolumen, wird der nächste Winter zur mörderischen Belastungsprobe. Es muss also eine Wohnstatt in all diesen Punkten bewertet und dann, da meist mehrere potentielle Standorte zur Wahl stehen, auch noch eine Entscheidung gefällt werden. Diese Entscheidung, so zeigt die Forschung, fällt mit überwältigender Häufigkeit auf die geeignetste Wohnhöhle. Aber wie? Der Verhaltensforscher und Neurobiologe Thomas D. Seeley setzt uns in seinem Buch im Detail auseinander, wie eine Ansammlung von kleinen geschäftigen Insekten mit eingeschränktem Nervensystem sich in einem kollektiven Prozess zu einem einstimmigen Schiedsspruch zusammenfindet – angefangen beim plötzlichen Auszug aus der alten bis zum Bezug der neuen Heimstatt. Im Zuge dessen erfahren wir zusätzliches über Leben, Verhalten und Fähigkeiten der Honigbiene sowie der Bienenforscher – ihre Methoden, Geistesblitze, geduldigen Feldforschungen und gewitzten Experimente. All dies wäre uns, vor allem auch angesichts der bestrickenden Begeisterung des gewieften Erzählers Seeley, schon allein ein Lorbeerkränzchen wert.
Indessen schlägt das Buch noch einen weiteren Bogen. Der ist es dann, der ihm ausser den Wertzuschreibungen ‚informativ' und ‚fesselnd' auch noch die letzte einbringt: Bedeutsam. Denn der Autor verbindet, auf dem recht stabilen Grund von Belegen und Beobachtungen aus jahrzehntelanger Forschungsarbeit, die bemerkenswerte Ähnlichkeit dieser Muster und Strategien der Entscheidungsfindung mit Mustern und Strategien der Entscheidungsfindung in unserem Hirn. Es ist ihm dabei sehr wohl bewusst, dass die Übereinstimmungen zwischen Bienchen, bzw. ‚Schwarmbewusstsein', und Neuronen, bzw. Kognition, nicht unendlich belastbar sind. Doch allein schon der Verdacht, dass die Evolution an ganz unterschiedlichen Orten ähnliche Organisationsstrukturen für Wertungs- und Entscheidungsaufgaben hervorgebracht haben könnte, ist für jeden biologisch bzw. neurologisch Interessierten aufregend und weit über diese speziellen Interessen hinaus von Belang. Genauso verhält es sich mit den sechs Lektionen, die er aus dem Verhalten der Bienen für unsere politische Entscheidungsfindung ableitet. Sie basieren auf der wichtigen Voraussetzung, dass eine demokratische Entscheidung von Individuen mit vergleichbaren Interessen angestrebt wird – was ja nicht immer der Fall sein muss. Doch innerhalb dieser Parameter haben uns die Bienen etwas darüber mitzuteilen, wie aus einem Bündel meinungsstarker Einzelpersonen ein leistungsfähiges Entscheidungsgremium gebastelt wird. „Brillant" hat eine führende naturwissenschaftliche Zeitschrift dieses Buch genannt. Wir finden weder Anlass noch Laune, dagegen aufzumucken.
Rezension: Sacha Rufer
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