Autor | Michael Schmidt-Salomon |
---|---|
Verlag | Piper Verlag |
Umfang | 363 Seiten |
ISBN | 978-3-492-05608-3 |
Preis | Fr. 28.90 (UVP) |
Wenn es etwas gibt, was noch unerfreulicher ist als ein erschöpfter oder bequemer, in jedem Fall aber lahmer Zynismus, dann ist es wohl ein Zweckoptimismus, der einzig auf den kosmetischen Erhalt des Status Quo zielt. Das weiss offensichtlich auch Michael Schmidt-Salomon, und er torpediert deshalb unser Verlangen, ihn eines ebensolchen Zweckoptimismus zeihen zu dürfen, schon im ersten Kapitel seines Buches. Er führt uns darin in betrüblicher Breite und unter Berufung auf die gesamte Menschheitsgeschichte samt ihren hellsten Köpfen aus, weshalb die menschliche Existenz als ein absurdes Jammertal trefflich beschrieben ist. Dann, mit erfreulich gleichbleibendem Abstand zum naiv-illusorischen, narzisstisch gekränkten oder egozentrisch-utilitaristischen Juchhe, klopft er unsere Historie, besonders aber die letzten ein-, zweihundert Jahre auf ethische und soziale Fortschritte und existentielle Milderungen ab. Dabei wird er reichlich fündig. Sein Streifzug führt ihn quer durch die wissenschaftlichen Disziplinen, durch Biologie, Medizin, Physik und ihre technologischen Erzeugnisse, Neurowissenschaften, Sozial- und Wirtschaftsethik und die Künste. Die Ächtung der Sklaverei, die Erfolge der Frauenbewegung, der zunehmende Abbau von kulturellen Vorurteilen oder die weitgehende Entschärfung der Gefahren des Kindbettfiebers sind nur einige der Perlen, auf die er stösst, die sich auch vom Schmutz so einiger Rückschritte und Irrwege nicht ihres Werts berauben lassen. Als unbedingte Bereicherung und spezielle Freude erlebten wir zudem seinen Willen, einige verfemte oder vergessene Wegbereiter dieser Veränderungen zurück ins Licht zu zerren. Thomas Paine, Ignaz Semmelweis, die verschiedenen Huxleys, Robert Jungk oder die uns Ökos so liebe Cradle-to-Cradle-Produktionsweise von Braungart und McDonough sind, gerade auch ob ihrer Absenz im vordersten Rampenlicht, gelungene Beispiele, um uns von einer hoffnungsvollen Botschaft zu überzeugen: Dass rationale Argumente, mit ‚brennender Geduld' verfochten, sehr wohl die Macht zu positiver Veränderung in sich tragen.
Michael Schmidt-Salomon ist Philosoph. Etwas ausführlicher: Er ist Humanist, Vorstandssprecher der Giordano-Bruno-Stiftung und Autor eines mit blödsinniger Härte angefeindeten atheistischen Kinderbuchs. Bezüglich seines Atheismus bleibt sich der Autor treu, indem er den Gottesgläubigen mit seiner Ablehnung von Dogmen, spirituellen Drohungen und Heilsversprechen etwas zu knabbern gibt, doch er verzichtet dabei auf scharfe Attacken. Uns jedenfalls scheint er an diesem Punkt kulant und fair; wobei wir möglicherweise voreingenommen sind, da wir Zweifel und rationale Hinterfragung für jedem Gläubigen zumutbar halten. Worüber wir jedoch in der grossen Übersicht immer wieder stolperten, war sein Humanismus. Nicht, weil wir ihm die geschichtlichen Irrwege dieser Weltanschauung noch einmal vorhalten möchten – mit seiner Definition des ‚evolutionären Humanismus' setzt er sich hinreichend klar davon ab. Doch das Wörtchen ‚human' meint nun mal explizit den Menschen, und so bleibt der Anthropozentrismus dem Humanismus, auch in diesem Buch und bei aller Relativierung, eingeschrieben. Wir sind überzeugt, dass eine in diesem Masse menschenbezogene Weltanschauung sich nicht hinreichend absetzt von der alten Sichtweise des Menschen als Krone der Schöpfung und Bevollmächtigtem zu ihrer Ausbeutung – und dass uns eine andere möglich ist. Weitergehend sehen wir noch verschwindend wenig Anzeichen, dass sich die Menschheit zu einem eigenen ‚Immunsystem' unseres Planeten gegen Biodiversitätsverlust und Katastrophen aufschwingen wird, wie der Autor sie erspäht. Wir trotten sogar bezüglich der Frage, ob dies in einem erweiterten Sinne ein Ziel sein soll, noch etwas unentschlossen hinterdrein. Doch wir geben gleichfalls gerne zu, dass das von ihm entworfene Bild eines vernünftigen, mitfühlenden, von Respekt gegenüber dem Leben geprägten und auch von einer ‚entzauberten' Welt sinnlich erquickten Menschen fürderhin schon mal genügen würde. Michael Schmidt-Salomons Buch hat die Wucht und die Beredsamkeit, dieses Bild plastisch zu befestigen. Wir wünschen es all jenen auf den Nachttisch, die zwischendurch mal an der Welt verzagen möchten. Also... allen?
Rezension: Sacha Rufer
Kommentare (0) anzeigenausblenden