Buch «Die unheimlichen Ökologen»

Buch «Die unheimlichen Ökologen»

Sind zu viele Menschen das Problem?

Der Grünen-Nationalrat Balthasar Glättli und der ausgebildete Geologe und Sozialarbeiter Pierre-Alain Niklaus reagieren mit diesem Buch auf die Ecopop-Initiative. Es ist eine Streitschrift wider Populationskontrolle und soziobiologische Unterströmungen in der Umweltdiskussion, und insofern – auch wenn wir ihm durchaus nicht ungeteilt zustimmen – ein wichtiges Buch zur richtigen Zeit.

 

Autor  Balthasar Glättli / Pierre-Alain Niklaus
Verlag  Rotpunktverlag
Umfang  173 Seiten
ISBN  978-3-85869-617-5
Preis  Fr. 25.— (UVP)

 

Wenn wir sagen, dass wir dem Buch nicht ungeteilt zustimmen, so lassen sich die Anteile von Skepsis bzw. Einverständnis recht einfach zuweisen. Skeptisch sind wir gegenüber so einigem, was uns die Hauptautoren an Meinungen, Deinungen und Erklärungen anbieten. Weitflächige Zustimmung finden hingegen die im Mittelteil versammelten, von den Wortmeldungen der Hauptautoren umrahmten kurzen Beiträge von verschiedenen Fachautoren zu ihren jeweiligen Fachgebieten.

Pierre-Alain Niklaus und Balthasar Glättli starten in ihre Ausführungen mit einer Übersicht über die ideengeschichtliche Entwicklung der politischen Ökologie und der Bevölkerungsdiskussion. Dabei machen sie deutlich, dass es in Konkurrenz zur heute meist politisch links verorteten Umweltbewegung eine weitere Tradition gibt, die sich am Umwelt- bzw. Heimatschutz versuchte. Diese Tradition und ihre Vertreter mit ihrer ideologischen Nähe zu eugenischem und sozialdarwinistischem Gedankengut stellen sie uns kritisch vor und setzen sie in Bezug zu der zur Zeit wieder aufflammenden Diskussion um Überbevölkerung, Nachhaltigkeit, Entwicklungspolitik und Ressourcensicherheit. Damit werden sie zwar die Öko- und Biologen in ihrer Leserschaft nicht kalt erwischen – die haben ihre nationalsozialistischen und malthusianischen Ahnen in ungeliebter Erinnerung behalten und üben sich meistenteils in klarer Abgrenzung –, doch die klare Kennzeichnung dieser Gedankengebäude ist damit keineswegs überflüssig. Diese 'andere' Geschichte der Umweltbewegung darf gerne als Mahnung einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht sein. Der zuweilen zornige und propagandistische Tonfall, mit denen sie uns diese Information vermitteln, machte uns dann aber wiederholt stutzig. Da wird der wachsende Druck der menschlichen Erdbevölkerung auf die Ökosysteme – vulgo Überbevölkerung – so konsequent kleingeredet, dass wir uns zu einer Antwort animiert fühlten: Nein, Herr Glättli, Herr Niklaus, die Bevölkerungsexplosion ist nicht nur eine 'sogenannte' und 'vermeintliche', sie ist historisch beispiellos.

Doch dann folgt schon der lobenswert abwechslungs- und kenntnisreiche Mittelteil. Dieser bringt uns die Botschaft des Buches reflektierter nahe: Dass sich bezüglich der drängenden ökologischen und sozialen Probleme unserer Welt (dem Klimawandel, dem Hunger, den Frauen- und überhaupt den Menschenrechten) die Verteilungsungerechtigkeit stärker auswirkt als die Bevölkerungsbelastung. Dass die Versuche einer Populationskontrolle sich bislang als ein stumpfes, dafür aber ungemein risikoreiches Instrument erwiesen. Und dass die diesbezügliche Schuldzuweisung der Industrie- an die Entwicklungsländer keiner objektiven ethischen Abwägung standhält. Die Autorinnen und Autoren dieser Aufsätze und Faktensammlungen suchen zwar keineswegs nur den pragmatisch-wissenschaftlichen Zugang zur Thematik, doch die Beiträge diskutieren sich, wo sie in ideologische Präferenzen abgleiten, gleich gegenseitig. So erhalten wir eine kritische, vielstimmige und belastbare Einführung in die Problematik, die sich zudem sehr lebendig und angeregt liest.

Indessen kehren wir wieder zurück zu den Hauptautoren. Es ist ja nicht so, dass wir ihnen grundsätzlich entgegenstünden. Wir teilen ihre Bekümmernis darüber, dass die ökologisch motivierte Bevölkerungsdiskussion zunehmend gänzlich sachfremden Vorurteilen ("Die Überzähligen sind immer die anderen") ein grünes Mäntelchen umhängt. Wir sind wie sie überzeugt, dass eine Angleichung von Wohlstandschancen und Bildung die globalen ökosozialen Fragestellungen nachhaltiger zu beantworten hülfe als die Blockade von Migrationsströmen. Ebenso erkennen wir die chauvinistisch-kolonialen Untertöne in der Diskussion um Bevölkerungsexplosion und Entwicklungspolitik. Doch die Alternativvorschläge, die uns die Autoren darlegen (Stärkung der Gemeingüter, alternative Wirtschaftsweise, Suffizienz, ökoverträgliche Technik) sind dann, wenngleich gewiss nicht grundlegend falsch, doch genau die Strategien, die die Ecopop-Initianten in ihrer fristgerechten globalen und nationalen Wirksamkeit anzweifeln. Auch ihre Aussage, dass eine Wende zur Nachhaltigkeit "nur als demokratisch abgestützte gesellschaftliche Wende denkbar" sei, möchten wir – mit Blick auf die doch zaghaften Erfolge der Bemühungen um Umwelterziehung in den letzten Jahrzehnten (und denkbar mulmigem Gefühl) – gerne als nochmals zu begutachtende Frage im Raum belassen.

Wir mögen nun die Autoren nicht in jedem Argument unterstützen, doch das soll unsere Besprechung hier nicht beschädigen. Schon deren blosse Länge darf als Hinweis darauf gelten, wie wir das Buch grundsätzlich bewerten: Es ist wichtig, willkommen und hiermit empfohlen. Es ist eine informative und bedeutungsvolle, relativierende Stimme zur kommenden Ecopop-Abstimmung. Es bietet einen gebotenen Anstoss an den Umweltschutz und die Umweltschützer, ihre Weltanschauung und ihre Zielsetzungen wieder einmal neu zu diskutieren. Und es bleibt, dank seines Mehrwerts an Daten und Hintergründen, ein über den kommenden Herbst hinauszielender Gewinn.

Rezension: Sacha Rufer

 

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