Buch «Gut leben»

Buch «Gut leben»

Eine Gesellschaft jenseits des Wachstums

Wir Menschen sind bestens befähigt, zwei einander konkurrierende Gedanken zeitgleich mit uns herumzutragen. So können wir beispielsweise denken, dass das mit dem Glaubensbekenntnis unserer Wirtschaftsordnung zum Wachstum "so nicht weitergehen" könne, und dann doch beruhigt aufatmen, wird mal wieder eine positive Wachstumsbilanz versprochen. Denn was ist die Alternative? Barbara Muraca forscht tiefschürfend nach.

Autor Barbara Muraca
Verlag Wagenbach Verlag
Umfang 93 Seiten
ISBN 978-3-8031-2730-3
Preis Fr. 14.90 (UVP)

 

Schon sein Erscheinen in der von uns bereits mehrfach mit Zuneigung beträufelten Reihe 'Politik bei Wagenbach' ist ein klarer Hinweis darauf, was dieses Büchlein, trotz seines einschlägigen Titels, nicht ist: Es ist kein psychologischer Ratgeber, kein Einkaufsführer, kein Kochbuch. Doch dass es seine Themen und Empfehlungen zu einem Guten Leben in den übergeordneten Sphären von globaler Politik und Wirtschaft sucht, muss nicht heissen, dass es uns nicht auch ganz persönlich von Nutzen sein kann. Denn seit Jahren wird von verschiedensten Seiten angerannt gegen die Wachstumsdoktrin unserer kapitalistischen Industrie- und Konsumgesellschaft - mit dem scheinbar einzigen Resultat, dass die diesbezüglichen Modelle an deren stahlnackigen 'Alternativlosigkeit' in eine zunehmend unüberschaubare Zahl von Vorschlägen, Ideen und Ideologien zersplittern. Die Philosophin Barbara Muraca verschafft uns mit ihrem kleinen, übersichtlichen Büchlein wieder den Überblick und arbeitet dabei auch gleich die wichtigsten Parallelen und die unveränderten Gemeinsamkeiten all dieser Einzelstimmen heraus.

Um uns diese Übersicht zu ermöglichen, beginnt sie ganz von vorn. Da all die Ideen und Visionen einer Postwachstumsgesellschaft (noch) Utopien sind, fragt sie erst mal danach: Was ist eine Utopie, und wie lässt sie sich konkretisieren? Wie in ihren ganzen späteren Ausführungen zeigt sie sich hier bereits kritisch und warnt uns vor Fehlinterpretationen und Gefahren, während sie uns aufzeigt, unter welchen Voraussetzungen Utopien zur konstruktiven Handlungsorientierung gedeihen können und wann sie im Zustand eines tröstenden, systemstützenden Wunschtraums verbleiben müssen. Ausgehend von - und sich aufstützend auf - dieser theoretischen Grundlage untersucht sie die Geschichte der Wachstumskritik und der 'Degrowth'-Bewegungen. Damit und mit der folgenden genaueren Analyse der Postwachstumsmodelle von Serge Latouche und Niko Paech verschafft sie uns den angekündigten Überblick über die Gemeinsamkeiten, Stärken und Schwächen der verschiedenen Vorstellungen und Empfehlungen aus Europa und spezifisch auch jenen Ländern und Kontinenten, die dem mit der Wachstumsideologie einhergehenden Versprechen von Wohlstand und sozialer Sicherheit existentieller bedürfen als wir.

Bevor sie dann schliesslich die gewonnenen Erkenntnisse noch einmal versammelt und uns zusammengefasst zu einigen wenigen, unabdingbaren Grundpfeilern der Postwachstumsgesellschaft mit auf den Weg gibt, warnt sie uns noch einmal. Diesmal vor Irrwegen der Postwachstumsvisionen, vor Trittbrettfahrern, unheiligen Allianzen und auch verschiedenen wohlmeinenden Vorstellungen, die sich aktuell der ökonomischen und politischen Wachstumsdiskussion angegliedert haben. Die Neue Rechte findet sich hier ebenso benannt wie das liberalökonomische Exit-Modell von Meinhard Miegel oder die Glücksforschung. Man mag deren Gefährlichkeit nicht durchweg so bewerten wie die Autorin, wichtige Anstösse zu gesundem Skeptizismus bieten sie in jedem Fall.

Überhaupt: Ein so straff gefasstes, prägnantes Buch wie dieses bietet natürlich hier und da Anlass zum Widerspruch. Mal im Detail, wenn uns im Gegensatz zu Barbara Muraca doch einige Leute und Institutionen einfallen, die sich Gedanken um die Entsorgung und die Lebenszyklen all der zur Zeit verbauten Dämmmaterialien machen. Mal allgemeiner, wenn wir uns ketzerisch fragen, ob die Befreiung aus der Wachstumsdogmatik tatsächlich so zwingend mit einer demokratischen Entscheidungsfindung verbunden ist, wie die Autorin betont. Doch da solcherlei Gedanken gerade von der skeptischen Haltung der Philosophin auf uns abfärben und sich die hilfreiche Orientierung im Meinungsdschungel um die Stichworte Suffizienz, commons, Regionalität, Freiwilligkeit und Wachstumswahn davon unbescholten bewährt, bleibt uns nur zu sagen: Wer sich, und wenn auch nur ein bisschen, eine bessere, zukunftsfähigere, vielleicht sogar gerechtere Welt wünscht, wird die zwei, drei Stunden der Lektüre dieses Büchleins als unbedingt lohnende Erfahrung erleben.

Rezension: Sacha Rufer

 

 

 

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