Buch «Dreimal Weltuntergang»

Buch «Dreimal Weltuntergang»

Da wir gerade etwas Luft haben, machen wir diese Woche mal etwas, was wir schon länger vorhatten. Wir streunen vom Pfad der Rezension umweltrelevanter deutschsprachiger Neuerscheinungen ab und frönen ausgiebig einer anderen persönlichen Leidenschaft. Um Ökologie und verwandte Problematiken dreht es sich auch hierbei, nur für einmal um eine bemerkenswerte, breitere Entwicklung im amerikanischen Autorencomic.

Es ist ja eigenartig: Ökologische Themen waren stets äusserst rar gestreut im Comic, und wenn sie sich mal blicken liessen, dann meist nur als marginale Zugabe am Rande. Nahm sich dann doch einmal ein Autor ihrer etwas ausschliesslicher an, dann waren wiederum er und/oder sein Zeichner so unerfahren, dass das Produkt dieser lobenswerten Auseinandersetzung berechtigterweise keine grosse Zukunft sah. Mit einer kleinen Handvoll hochwertiger Ausnahmen lag die Thematik also sowohl in der europäischen wie in der amerikanischen Comicgeschichte die längste Zeit brach (einzig die japanischen Manga behielten Umweltbelange auch schon vor ihrem Ausbruch aus dem Inselarchipel etwas fokussierter im Blick), und auch die Evolution der althergebrachten Bildergeschichtenformate zur sogenannten 'Graphic Novel' änderte daran vorerst nichts.

Vielleicht ist es nun nur ein Beiklang der Apokalypsenverliebtheit der gegenwärtigen westlichen Kultur, dass in neuerer Zeit namhafte amerikanische und britische Comicautoren ihr Umweltbewusstsein freigiebiger spriessen lassen. Doch wie dem auch sei: Sie tun es, und mindestens drei davon tun es in einer Weise, die uns derart aussagekräftig erscheint, dass wir ihr hier mal nachspüren wollen. Denn alle drei verhandeln den Weltuntergang nicht als ein erklärungsbedürftiges Szenario, das sich möglicherweise abwenden oder auch nur berichtigen liesse, sondern als ganz selbstverständliche Tatsache.

massiveThe Massive
Brian Wood/Kristin Donaldson/Garry Brown/Dave Stewart
Dark Horse Books

In Brian Woods naher, dystopischer Zukunft sucht eine Crew von grundsätzlich pazifistischen, aber gleichwohl militanten Umweltschützern und Walrettern nach dem Mutterschiff ihres kleinen Trawlers 'Kapital' - der titelgebenden 'Massive'. Sie bewegen sich dabei über die Ozeane einer von einer ökologischen Katastrophe heimgesuchten, weitgehend überfluteten und entvölkerten Erde. Wir wissen nicht, wie dieses brutale Desaster genau zustande kam - ein spontanes Kippen des Klimas bietet sich als Erklärung an, doch wird weder bestätigt noch ausformuliert -, und die verbliebenen Menschen zeigen sich davon nun nicht geläutert oder zu einer Revolution des Bewusstseins bewogen. Ihr Kampf ums Überleben spielt zwar vor einem weiten Hintergrund von Trauer und Schmerz, doch ebenso vor dem Widerhall alter politischer und ökonomischer Ideologien, ungebrochener Habsucht und noch verstärkter Gewaltbereitschaft. Inmitten dessen versucht die Crew der 'Kapital' ihre noblen Ideale und Ziele zu schützen und diskutiert dabei vor immer neuen Herausforderungen und Bedrohungen die Frage, wie, und weshalb überhaupt, sich eine Welt verbessern lasse, die sie doch in ihrer Gesamtheit als fast unausweichlich verdammt erlebt.

hinterkindHinterkind
Ian Edginton/Francesco Trifogli
Vertigo (DC Comics)

Etwas fantastischer geht es zu in Ian Edgintons 'Hinterkind' (so Original der radebrechend deutsche, englische Titel). Der Weltuntergang nahte hier in Form von 'The Blight' - der Fäule? Der Seuche? Wiederum wissen wir's nicht, doch wir verstehen, dass dieses zerstörerische Ungemach von der kleinen Gruppe von Menschen, die sich im Central Park des pittoresk pflanzenüberwucherten New York niedergelassen hat, als eine Rache der Natur an der masslosen Menschheit überliefert wird. Mit dem Zusammenbruch der Zivilisation kamen die 'Hinterkind', eine Vielfalt mythologischer und märchenhafter intelligenter Rassen, die, mal ätherisch schön, mal monströs, eigentlich nur eines teilen: Leidenschaftlichen Hass auf die gierigen, erbarmungslosen, bösartigen Menschen, die sie an den Rand der Ausrottung drängten. Diese Wahrnehmung kontrastiert mit dem ehrbaren, fast naiven Bild der Menschen, die uns der Comic als Hauptpersonen vorführt, genauso wie der gesamte Comic die in erneuerter Schönheit erstarkte Natur drastisch mit all deren grausameren Komponenten kontrastiert, die wir mittels ihrer Unterwerfung zu entschärfen trachteten. In seiner dem Entertainment verschriebenen, actionbetonten Handlung drückt der Comic diese kontroverse Erörterung unserer menschlichen Tugenden und Laster zwar manchmal in den Hintergrund, wir bleiben in unserer Sympathie und unserem moralischen Urteil aber durchwegs kippelig verunsichert: Sogar dann, wenn wieder einmal ein unglücklicher Kerl von einem Einhorn oder Oger als Nahrungsquelle verwertet wird.

lazarusLazarus
Greg Rucka/Michael Lark/Santi Arcas
Image Comics

Die Apokalypse in 'Lazarus' war dann schliesslich weniger eine ökologische als eine soziale. In ihrer Folge halten einige wenige Familien die schwindenden Ressourcen und alle wirtschaftliche und politische Macht in ihrem eifersüchtigen Klammergriff. Das darbende Gros der Menschheit betiteln sie als 'Waste', Abfall, das froh sein darf, gelegentlich als Arbeitskraft ausgebeutet zu werden. Beschützt werden diese Familien jeweils von einem Lazarus, einem genetisch, mental und technisch auf Kampffähigkeit und -bereitschaft optimierten, im Todesfall wieder belebbaren Menschen. Die Hauptfigur, die vermeintliche Tochter des Carlyle-Clans namens Forever, ist eine solche Lazarus. Doch ihre Konditionierung beginnt zu bröckeln, und immer verzweifelter hinterfragt sie ihre Rolle in der Welt und fragt nach ihrer Menschlichkeit. Diese Suche eines frankensteinschen Monsters nach sich selbst ist zwar in der Science-Fiction kein neuartiges Konzept, jedoch hier ausserordentlich ehrlich angegangen: Langsam nämlich, zögerlich, allzu leicht verunsichert und hintertrieben. Damit gerät auch die von Forever und ihrem Autor betriebene, argwöhnische Erkundung unserer sozialen (und der amerikanischen familiären) Werte sowie der menschlichen Natur, intensiviert noch vor dem Hintergrund ihres offensichtlichen Versagens, zur tastenden, in ihrem moralischen Impetus keineswegs selbstsicheren Unternehmung. Der gleichzeitige metaphorische Gegenwartsbezug mit dem Augenmerk auf kapitalistischer Dynamik angesichts Ressourcenverknappung ist dabei, so gekonnt er auch angegangen ist, fast nur noch Beiwerk.

Natürlich ist die Postapokalypse als ein Setting für spannende oder auch sozialkritische Geschichten ein gut ausgeleuchtetes Territorium. Der Terminator, die 'Walking Dead', Mad Max sowie eine Unzahl von Romanen und Comics bewegten und bewegen sich bereits über die staubbedeckten, schädelverzierten Ebenen und durch die ruinierten Städte von postatomaren, postpandemischen, postirgendwassen Zukünften. Mal zum Zweck einer Warnung, mal als Horrorelement, mal als begünstigende Voraussetzung einer unmittelbareren, von zivilisatorischen Zwängen bereinigten Betrachtung der Entwicklungen und Zeichen der Gegenwart. Die drei vorgestellten Comics erfinden diesbezüglich das Rad nicht neu. Was uns an ihnen, und das gleich in zeitnaher, dreifacher Ausführung, zum ersten Mal in dieser Deutlichkeit begegnet, ist eine kleine Verlagerung des Schwerpunkts:

Die oben angeführte 'Apokalypsenverliebt' unserer zeitgenössischen Kultur lässt sich bestimmt aus mehr Blickwinkeln und auch in tiefere psychologische Abgründe erörtern, als wir es hier tun. Was indessen schon bei einer oberflächlichen Überschau auffällt, ist die Tatsache, dass der Weltuntergang keineswegs nur gefürchtet, sondern vielfach herbeigesehnt wird. Dies nicht nur von religiösen Splittergruppen, die sich hierdurch die ewige Befestigung ihres herausgehobenen Status im Jenseits erhoffen, sondern von breiteren Massen, die sich davon eine wie auch immer geartete 'Reinigung' oder auch nur eine abschliessende Bestätigung ihrer lauernden Ängste versprechen. An die Darstellung von Postapokalypsen gekettete Warnungen und Drohungen werden unter dieser Voraussetzung meistenteils verpuffen. In diese Kerbe schlagen diese Comics und ihre Autoren, indem sie uns vorführen, dass der 'Weltuntergang' die Verhältnisse nicht automatisch zum Guten wandelt. Sie verweigern uns die Illusion einer 'natürlicheren' oder von den allerlei menschlichen Ungerechtigkeiten geheilten Welt und geleiten unsere Mängel und Leiden unbeirrt über den Umbruch hinweg. Das ist, unserer Meinung nach, eine realistische, heilsam ernüchternde und darum wichtige Botschaft.

In diesem Sinne dürfen wir dann auch behaupten, den Titel dieser Rubrik nicht zweckentfremdet zu haben. Wir empfehlen alle drei Comics - alles noch nicht abgeschlossene Reihen, deren Fortsetzung wir ungeduldig erwarten - von Herzen: Als gelungene Unterhaltung, unter den oben dargelegten Gründen und ebenso in allen comicspezifisch kreativen Belangen. Den Wunsch, dass sie mittels Übersetzung auch jener hypothetischen Leserschaft zugänglich gemacht werden, die des amerikanischen Englisch nicht im von ihnen geforderten Masse kundig ist, fügen wir daran an.

Rezension: Sacha Rufer

 

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