Buch «Evolution des Gewissens»

Buch «Evolution des Gewissens»

Wir nennen sie Helden: Leute, die unter Gefahr für das eigene Leben Kinder aus Flammen retten oder Gefallene von U-Bahn-Schienen ziehen. Der Darwinismus runzelte über solches Betragen gleichwohl lange Zeit die Stirn. Denn wie konnte sich das, evolutionär betrachtet, lohnen? Moral und Altruismus galten lange Zeit als Prüfstein der Evolutionstheorie, bis sich in den letzten Jahren auch die Kooperationsfähigkeit schlüssig in sie einordnen liess. Schlüssig?

Autor  Eckart Voland / Renate Voland
Verlag  S. Hirzel Verlag
Umfang  236 Seiten
ISBN  978-3-7776-2376-4
Preis  Fr. 44.80 (UVP)

 

Schlüssig? Der Philosoph der Biowissenschaften (und mithin führende deutsche Vertreter der Human-Soziobiologie) Eckart Voland und seine Frau, die Psychologin Renate Voland, sehen da noch den ein oder anderen Erklärungsbedarf. Denn sie sehen, gleichauf mit den Erkenntnissen von Biologie und Verhaltensforschung, zwar altruistisches und kooperatives Verhalten im Tierreich, aber eine gefühlsmässige Instanz, namens Gewissen, die dann unmoralisches Verhalten mit wenig erstrebenswerten Emotionen wie Schuld und Scham bestraft? Im gedankenvollen interdisziplinären Versuch, auch für dessen Entwicklung ein tragfähiges evolutionäres Szenario zu finden, konstatieren sie uns Menschen zwei Sorten von Moral: Eine urtümliche, konsequenzialistische (d.i. eine Moral, die ihre Berechtigung daran anmacht, dass sie unmittelbar das Gute mehrt), und eine spezielle, non-konsequenzialistische (die moralisches Verhalten vornehmlich danach wertet, ob es sich an definierte Regeln oder Gebote hält).

Den evolutionären Rahmen für die Herausbildung des non-konsequenzialistischen Gewissens finden sie im Übergang der Homininen zu kooperativen Fortpflanzungsgemeinschaften, also jener seltenen, eusozialen, für Menschen aber typischen Angewohnheit, die Aufzucht der Jungen im generationenübergreifenden Verbund zu organisieren. Sie erproben es dann ausführlich und mit grosser Sorgfalt im psychologischen und soziobiologischen Zusammenhang des Eltern/Kind-Konflikts. Dort entdecken und postulieren sie auch die meisten Grundlagen seiner Funktionen und Funktionsweisen.

Klingt kompliziert? Nun, das ist es, und den Autoren gelingt es nur anfangs, uns darüber hinwegzuheben. Ihren Versuch, das Buch und seine Erkenntnisse nicht nur einem fachspezifischen, sondern einem breiten Publikum zu öffnen (und wie sollen wir ihre wiederholte Einflechtung von sachfremden, die jeweilige Aufgabenstellung erläuternden Zitaten aus der menschlichen Kulturgeschichte sowie ihre Bemühung um eine breite Einführung in die Thematik anders interpretieren?) darf man als meistenteils gescheitert betrachten. Wir wären dem gemäss in den ersten Momenten nach der Lektüre nicht auf die Idee verfallen, es hier als Buchtipp anzupreisen. Doch die dem Buch zu Grunde liegende These blieb, davon unbesehen, in der Folge als eine spannende und relevante in uns wach.

Unsere Zweifel, wenigstens die allgemeineren, möchten wir nicht verschweigen. Ob die unternommene Doppelung bzw. Aufteilung des menschlichen Moralempfindens überhaupt nötig und haltbar ist, hierfür müssen wir wohl noch weitere Belege aus der zoologischen Verhaltensforschung und der Neurologie abwarten. Ebenso, ob die Unternehmung der Soziobiologie, menschliche kulturelle Entwicklungen zu 'biologisieren', sich im weiteren Umfeld der Evolutionstheorie bewähren kann. Und schliesslich scheint uns die recht strikte Rückführung des Gewissensimpulses auf familiäre Dynamiken zum Zweck des Fortpflanzungserfolgs schon methodisch eindimensional, ergo anfechtbar. Spezifischer noch, wenn diese Gewissensimpulse sich vorrangig aus dem christlich abendländischen Spektrum rekrutieren.

Wir sehen das Buch also nicht als den, vom Autoren-Ehepaar zumindest vorsichtig intendierten, Schlusspunkt hinter der evolutionären Moraldiskussion. Wir sehen es aber als eine wertvolle und fundierte Stimmmeldung zum Themenkomplex, die es verdient, von einer mit Neugier, Geduld und Satzsäge bewaffneten Leserschaft gebührend gewürdigt zu werden. Lohnend ist dies nicht nur bezüglich seiner Erkenntnisse zum Nutzen, den Motiven und den Grenzen unserer Moral, sondern auch im Sinne der Bemühungen insbesondere der TierrechtsaktivistInnen, die Grenzziehung zwischen charakteristisch menschlichen und tierischen kognitiven Errungenschaften belastbar neu zu definieren.

Rezension: Sacha Rufer

 

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