Autor | Stefano Mancuso / Alessandra Viola |
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Verlag | Verlag Antje Kunstmann |
Umfang | 166 Seiten |
ISBN | 978-3-95614-030-3 |
Preis | Fr. 28.50 (UVP) |
Um seinen ersten Angriff einzuleiten, muss er nicht lange suchen. Ein kurzes Gedankenexperiment genügt: Wie lange, ungefähr, würde die Menschheit auf einer Erde ohne pflanzliches Leben überdauern? Und umgekehrt? Was sagt uns das über ihren evolutiven Stellenwert? Nach dieser Breitseite segelt er in ruhigere Gewässer und beginnt damit, all jene Punkte, in denen wir uns den Pflanzen für unbestreitbar überlegen halten, en Detail zu demontieren. An die Intelligenz, die er im Titel anspricht, arbeitet er sich da erst vorsichtig heran. Erst einmal sind es die Sinnesleistungen der Pflanzen, zu denen uns der Pflanzenneurobiologe Mancuso mit Unterstützung der Wissenschaftsjournalistin Alessandra Viola Gedankenanstösse beschert. Das tut er, indem er uns aus seinem reichen Wissensfundus beeindruckende Belege liefert, die den Pflanzen Entsprechungen zu ausnahmslos all unseren menschlichen Sinnen gutschreiben – plus einigen zusätzlichen. Wobei er nicht durchgängig gleich überzeugend agiert: Bezüglich des Hörsinns der Pflanzen blieben uns einige Definitionsfragen ungeklärt, das Schmecken und das Riechen läuft doch zu nennenswerten Teilen auf ganz ähnliche Sinnesleistungen hinaus, und auch bei den zusätzlichen Sinnen scheint er uns ein wenig zu schummeln, um auf die beeindruckende Zahl von fünfzehn weiteren Wahrnehmungsfähigkeiten zu kommen – indem er beispielsweise Fähigkeiten einfliessen lässt, deren Lesart als Sinnesleistungen uns nicht unzweifelhaft einleuchtet.
Unser Zutrauen in ihn und die vermittelten Fakten bleibt davon unbehelligt. Dies zum einen, da wir zwar hier und da ob der begrifflichen Zuordnung seiner Daten und Argumente, aber nicht ob ihrer grundsätzlichen wissenschaftlichen Rechtschaffenheit Bedenken hegen. Zum andern, weil er darüber eindrucksvoll anschaulich macht, woran unsere vorurteilsfreie Annäherung an die Pflanzen als empfindende Lebewesen vornehmlich scheitert. Ganz abgesehen von ihrer scheinbaren Bewegungslosigkeit und Kommunikationsunlust (welcher im Übrigen der, uns auch diesbezüglich berichtigende, zweite Hauptteil des Buches gewidmet ist) sind sie uns auf grundlegender Ebene fremd. Denn anders als die flinkeren Tiere verlassen sie sich zur Aufrechterhaltung ihrer Körperfunktionen nicht auf Organe und Glieder, sondern setzen auf eine Konstruktion repetitiver, ersetzbarer Module. Dadurch fallen all die Augen, Beine, Herzen und Hirne weg, an denen wir Verwandtschaft erkennen und festmachen können. Man könnte sie leichthin als Aliens bezeichnen – wären sie nicht schon viel länger hier als wir.
Aber sind sie denn nun intelligent, die Pflanzen? Ja, erklärt uns Stefano Mancuso im letzten Hauptteil seines Buches. Natürlich müssen wir dafür Abstand nehmen von den Definitionen von Intelligenz, die unsere eigenen diesbezüglichen Leistungen und Fertigkeiten zum massgeblichen Horizont nehmen. Doch wenn wir diese auch nur ein wenig hintanstellen, ist der Weg zur pflanzlichen Intelligenz schon nicht mehr weit. Vorzugsweise am Beispiel der Wurzelspitzen belegt der Autor wesentliche Funktionen von Intelligenz: Problemlösung, Entscheidungsfindung, Erinnerungsvermögen. Dass diese nicht von einem zentralen Nervenzentrum koordiniert werden, tut dem intelligenten Verhalten der Pflanzen in ihrem anforderungsreichen Umfeld keinen Abbruch, eröffnet uns hingegen neue Perspektiven. Es ist das leidenschaftliche Anliegen des Autors, uns dies deutlich zu machen: Dass wir mittels unserer Geringschätzung der Pflanzen Chancen verpasst haben, die es nun dringend aufzugreifen gilt – für die Medizin, für die Konstruktion komplexer, modularer Systeme, für innovative Materialien, saubere Energieformen oder, man staune, die Schlafforschung. Er artikuliert sich deshalb mit Verve und Engagement. Diese Eigenschaften lassen sein Buch nicht nur zu einem elegant unterhaltsamen Informationswerk, sondern zu einem hingebungsvollen und glaubwürdigen Plädoyer bezüglich der Würde der Pflanzen gedeihen.
Rezension: Sacha Rufer
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