Buch «Die Entscheidung»

Buch «Die Entscheidung»

Kapitalismus vs. Klima

Das neue Buch von Naomi Klein wurde uns angekündigt als ein planetar kathartischer Event. Das stimmte uns milde misstrauisch. Und tatsächlich: Ob es 'alles ändert', wie der Buchdeckel verspricht, bleibt dann doch eher uns selbst als dem Buch überlassen. Dass es sich jedoch um ein aufrüttelndes, provokantes, geistreiches und auch emotional wirkmächtiges Buch handelt, das das Zeug hat, uns zu tauglichem Widerstand gegen Klimawandel und Kapitalismusmacht hinzuschubsen: Das unterschreiben wir sofort und gerne.

 

Autor  Naomi Klein
Verlag  S. Fischer Verlag
Umfang  698 Seiten
ISBN  978-3-10-002231-8
Preis  Fr. 36.90 (UVP)

 

Die Motivation hinter ihrem neuen Buch verrät uns Naomi Klein auf dessen zweiundzwanzigster Seite in eindringlichen Worten: "Wir kämpfen um unser Überleben, und niemand steht uns bei." Mit 'niemandem' meint sie nicht etwa die freundlichen Ausserirdischen, die es beharrlich versäumen, uns in Sachen Klimawandel zur Hilfe zu eilen. Sie spricht auf jene sehr irdischen Individuen an, die über das Geld und den Einfluss verfügten, hier einen bedeutsamen Unterschied zu machen, sich aber lieber darauf verlegen, die Realität der menschengemachten Klimaveränderung ganz insgesamt zu leugnen. Die prominente Autorin von so einflussreichen Büchern wie 'No Logo' oder der 'Schock-Strategie' nimmt damit zwar - wie ihr straflos zu unterstellen ist - stärkeren Bezug auf ihre nordamerikanischen Verhältnisse als auf europäische. Das macht die deutsche Übersetzung ihrer Mahnschrift aber leider keineswegs obsolet. Denn die Dynamiken des globalisierten liberalen Kapitalismus, dessen Ideologie dergestalt seine seltsamen Blüten treibt, sind eben genau jenes: Global. Um dem Klimawandel und der weiterhin drängend voranschreitenden Untergrabung unserer Lebensgrundlagen substantiell etwas entgegenzusetzen, so moniert sie, müssten wir schleunigst von diesem Modell Abschied nehmen.

Dies, so führt die Autorin im ersten Teil ihres Buches aus, hätten die extremen Rechten ihrer Heimat, ob nun bewusst oder unbewusst, vielleicht deutlicher erkannt als die meisten Linken oder Grünen weltweit. Es sei denn auch die Angst vor der hier drohenden Zäsur ihres elitären Anspruchs, der sie veranlasse, mit mehr Polemik als faktischen Argumenten jedweden Zweifel an der Tatsache des Klimawandels zu schüren und gleichzeitig die Grundpfeiler ihres wirtschaftlichen Empires - Privatisierung, Deregulierung und Steuersenkungen für Unternehmen und auf Einkommen - umso stabiler zu verankern. Anhand mannigfaltiger Beispiele, sowohl aus eigener Betrachtung wie aus tiefschürfender Recherche, führt sie uns vor, wie der verhängnisvolle, 'alternativlose' Schulterschluss von Regierungen und Unternehmen in den letzten Jahrzehnten ein ums andere Mal zur Erkenntnis gelangte, es gebe keinen Wirtschaftsmotor als den fossil betriebenen.

In diesem wohlfeilen Feindbild der bösen Konzerne und korrupten Politiker bleibt Naomi Klein indessen nicht hängen. Im zweiten Teil ihrer Betrachtungen - trefflich mit 'Magisches Denken' betitelt - teilt sie den Linken und so mancher Umweltschutzorganisation der industrialisierten Welt schlechte Noten aus. Diese, so ihre hauptsächliche Argumentationslinie, haben sich gründlich in die Bequemlichkeiten des Wohlstands eingestrickt und lassen sich bezüglich des Umweltschutzes von Technikoptimismus und Emissionshandelsdebatten blenden. Die Weltrettung aus dieser Richtung zu erwarten - zu diesem Schluss müssen wir hier kommen - ist zwar nicht grundsätzlich töricht, aber schliesslich doch zu vertrauensselig.

Was also ist zu tun? Naomi Klein sieht keinen Anlass, auf eine baldige Erleuchtung und radikale Umkehr der WTO, der trotzigen Klimaleugner oder auch nur der westlichen Regierungen zu hoffen. Um das herrschende Modell des Kapitalismus mit seiner eingeschriebenen Neigung zur maximalen Ressourcenausbeutung und seiner idealtypischen Verweigerung der Verteilungsgerechtigkeit aufzubrechen, bedürfe es also einer Revolution von unten, einer vernetzten und kleinteiligen Graswurzelbewegung. Folgerichtig widmet sie den dritten Hauptteil ihres Buches all jenen kleinen, genossenschaftlichen oder traditionellen, innovativen, idealistischen oder aus der blanken Not geborenen Initiativen und Bewegungen weltweit, die insgesamt vielleicht nur eines gemeinsam haben: Die Einsicht, dass wir weniger die Beherrscher der Natur als deren eitler Zierrat sind.

Bevor wir nun zu unserem abschliessenden, verdienten Loblied starten, wollen wir unsere thematisch belesenen LeserInnen warnen: Sowohl in seiner ökologischen Kapitalismuskritik, wie auch bezüglich der unterbreiteten Alternativen hierzu, bietet das Buch mit seinen doch über fünfhundertfünfzig Textseiten wenig bemerkenswert Neues. Was es uns darüber hinaus nahebringt - und das ist in seiner Unzeitgeistigkeit durchaus beachtenswert - ist der Gedanke, dass die Gegenbewegung gegen den zeitgenössischen Kapitalismus sich weniger an wirtschaftlichen als an moralischen Zielsetzungen erproben sollte - um damit in die Tradition jener wenigen Revolutionen 'von unten' zu treten, die tatsächliche und nachhaltige Wirkung zeigten.

Des Weiteren finden wir an Naomi Kleins argumentativem Auftreten etwas zu bemäkeln: Sie zeigt mehrfach einen merklichen Widerwillen, Widersprüche auszuhalten oder Grautöne zu akzeptieren. Das kann dann dazu führen, dass sie ihre Reflektiertheit mit Unduldsamkeit untergräbt. Sie erweckt so zuweilen eine idealistische Sehnsucht nach der einen, alleinseligmachenden Lösung, die sie doch als genau jene Illusion erkennt, der wir zuvorderst entkommen müssen, um handlungsfähig zu werden. Mag aber gut sein, dass dies eine Folge der beeindruckendsten Stärke ihrer Wortmeldung ist: Ihrer Authentizität. Während Naomi Klein in gebührendem Mass um die Tugenden von Nüchternheit und Faktentreue ringt, wird uns gleichzeitig stets fassbar, wie sie sich, um das letztliche Flämmchen der Hoffnung zu finden, zwischen ermüdenden Gefühlen von Verzweiflung, Zorn und Frustration entlanghangelt. Wir ringen, hangeln und finden mit ihr. Es ist diese glaubwürdige Reise, auf die sie uns schickt, die die Forderung ihres Buches auch emotional in uns verankert: Lassen wir die Erbsenzähler Erbsen zählen... und bauen wir indessen unsere eigenen an.

Rezension: Sacha Rufer

 

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