Buch «Welche Medizin wollen wir?»

Buch «Welche Medizin wollen wir?»

Warum wir den Menschen wieder in den Mittelpunkt ärztlichen Handelns stellen müssen

"Vieles ist gut an unserer Medizin - doch allzu vieles liegt im Argen" sagt Michael de Ridder. Man kann diesen Satz gerne als Ausgangspunkt und Leitfaden seines Buches heranziehen; als Inhaltsangabe taugt er noch nicht. Denn der Berliner Arzt bleibt bei der Klage nicht stehen, sondern richtet sein Buch ganz auf die genaue Verortung und zukunftsfähige Verbesserung der von ihm wahrgenommenen Missstände aus.

Autor Michael de Ridder 
Verlag Deutsche Verlags-Anstalt DVA
Umfang 303 Seiten
ISBN 978-3-421-04624-6
Preis Fr. 28.50 (UVP)

 

Die Medizin ist, zugegeben, nicht unser Kernthema. Zwar führen uns die vielfachen Verstrebungen zwischen Umwelt- und Gesundheitsfragen immer wieder an sie heran, doch zu Ärzten macht uns das nicht. Demgemäss wollen wir uns hier kein Urteil zu den einzelnen medizinischen Fachfragen, die Michael de Ridder in seinem Buch erörtert, anmassen: Weder zu den Wildwüchsen in der Herzmedizin, die er einklagt, noch zum Nutzen von Palliativmedizin oder der Notwendigkeit einer Leitlinienmedizin, die er spezifisch erörtert. Das hinterlässt uns dann aber keineswegs ohne ein Argument dafür, dass wir sein Buch als wichtig und bemerkenswert gewahren. Denn in seiner grundsätzlichen Fragestellung geht es uns alle, in einem ganz speziellen Punkt gerade auch uns subkulturelle Ökos etwas an.

Was also liegt im Argen in der Medizin? Während der umtriebige Berliner Arzt auf seine 35 Jahre in diesbezüglicher Tätigkeit - unter anderem als Chefarzt der Rettungsstelle eines Krankenhauses und Geschäftsführer eines Hospizes - zurückblickt, kristallisiert sich ein klares Bild heraus. Er verortet hauptsächlich zwei Missstände - mit der unerspriesslichen Neigung, sich gegenseitig hochzuschaukeln. Einerseits eine grundsätzliche, schon in der Ausbildung angelegte Abstandhaltung zwischen Arzt und Patient, die dann im Extremfall zum Selbst- und Fremdbild des Arztes als 'Gott in Weiss', mindestens aber zu einer latenten Unpersönlichkeit dieser doch eigentlich so vertrauensfordernden Beziehung führt. Dies, so belegt er aus seiner Erfahrung, wird in den letzten Jahrzehnten noch verstärkt durch die Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die Sprachblüten wie die Rede vom 'Patientengut' spriessen lässt und sich daneben zunehmend darauf kapriziert, sich gegen Schadensersatzforderungen abzusichern und Krankenhäuser als profitable Unternehmen zu positionieren. Dem entgegengesetzt schreibt er sein Buch als ein intensives, dichtes und sehr persönliches Plädoyer für eine Wiederentdeckung von Mitgefühl, Anteilnahme und demütiger Authentizität im Gesundheitswesen und der Ärzteschaft - in ihrer Ausbildung ebenso wie in ihrem alltäglichen Selbstverständnis.

Er formuliert diesen Anspruch nicht nur als frommen Wunsch, sondern gibt uns an Hand von sieben abschliessenden Thesen ein glaubwürdiges Leitbild an die Hand, in welchen Bahnen er zu erfüllen wäre. Hierfür ruft er zwar zuerst den Arzt und den Medizinbetrieb (in ihrer Ethik und Motivation), doch nicht unmassgeblich auch den Patienten zum Umdenken auf. Denn ebenso wie er die Missstände im Gesundheitswesen beanstandet, bricht er eine Lanze für die unbestreitbaren und glücklicherweise stetig weiter über Placeboeffekte hinausgewachsenen Erfolge jener Wissenschaft, die der Volksmund zunehmend verunglimpfend als 'Schulmedizin' bezeichnet. Aus eigener Anschauung berichtet er, wie vermeintlich sanfte, 'alternative' Heilpraktiken zum tragischen Unheil gedeihen können, und gibt zu bedenken, dass die Antwort auf Mängel, Fehlleistungen oder Profitdenken im wissenschaftlichen Medizinbetrieb keine fundamentale Abwendung von diesem, sondern vielmehr dessen konstruktive Kritik und Korrektur erfordern würde. Darüber hinaus reklamiert er in seltener Prägnanz und Nachvollziehbarkeit den Begriff der 'Ganzheitlichkeit' für eben jene Schulmedizin, der sie, landläufiger Einschätzung nach, doch so grundsätzlich fehle. Er rückt damit ein Weltbild gerade, das gerade in unserem löblich ökologiebewussten, aber bisweilen eine unreflektierte 'Natürlichkeit' vergötzenden Umfeld allzu leicht in Schieflage rutscht.

Neben dieser Ausrichtung und unbedingten Eignung als Denkanstoss und Plädoyer gestaltet Michael de Ridder sein Buch zu umfangreichen Teilen als Lebenserinnerung und, zumindest in einem Zusammenhang, als Beichte. Anfangs irritierte uns das. Des Autors wissenschaftlicher Überzeugungskraft, so wollen wir denn auch feststellen, ist seine anekdotenhafte Beweisführung nicht zuträglich. Doch es leuchtet natürlich ein, dass ein Buch, das um die Etablierung von Empathie und einer Kommunikation auf Augenhöhe zwischen Arzt und Patient bemüht ist, dann auch die Herstellung dieser menschlichen, persönlichen Nähe sucht. Da dieser Versuch bestens gelingt, mögen wir uns auch daran nicht mehr stossen, sondern - im Gegenteil - den dadurch errungenen Gewinn an Leserfreundlichkeit und Unterhaltungswert herausstreichen.

Rezension: Sacha Rufer

 

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