Autor | Elizabeth Kolbert |
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Verlag | Suhrkamp Verlag |
Umfang | 312 Seiten |
ISBN | 978-3-518-42481-0 |
Preis | Fr. 35.50 (UVP) |
Schon früh in ihrem Buch macht die Journalistin Elizabeth Kolbert klar, was sie zu ihrer Beschäftigung mit dem umfangreichen, vielschichtigen und umstrittenen Thema der grossen erdgeschichtlichen Massenextinktionen - und hier schwerpunktmässig mit der aktuellen, sechsten - bewog: Erschrecken und Faszination. 'Faszination?' fragten wir uns da, die wir uns bezüglich dieser Thematik verstärkt zu ersterer Emotion (und zusätzlich zu einer gewissen Frustration) angeregt sehen. Bald stellten wir aber fest, dass das Spannungsfeld dieser zwei diskrepanten Gefühlsäusserungen in der Autorin eine Haltung fördert, die sich als ausserordentlich fruchtbar erweist: Die Haltung einer neugierigen, kritischen und lernbeflissenen Forscherin, die wissenschaftlichen Abstand halten kann, ohne hierfür ihre persönliche Bestürzung aufgeben oder auch nur kaschieren zu wollen.
Dem mag auch entgegengekommen sein, dass sie sich zur Recherche ihres Buches an die Schauplätze des Geschehens wagte - in den Amazonas-Regenwald und nach Island, zum grossen australischen Korallenriff, in Labore oder in kleine, von pinselfertigen Archäologiestudenten in Beschlag genommene Höhlen - und dass sie mit den meisten der noch lebenden, diesbezüglich massgeblichen Wissenschaftlern selbst gesprochen hat. Entgegen kommt dies in jedem Fall dem Leser, denn dadurch gewinnt ihre Dokumentation, hinausgehend über den Charakter des populärwissenschaftlichen Informationswerks, jenen eines Reise- und Abenteuerberichts. Umso bemerkenswerter, was sie dann an Informationen hineinpackt. Im ersten Teil des Buches geht es um die fünf Massenaussterbeereignisse der Vergangenheit, und diesbezüglich um die geologische und biologische Erdgeschichte, um Klimatologie und Wissenschaftshistorie, um die Entdeckung und die Diskussion der Evolutionstheorie und nicht zuletzt um viele bereits länger oder kürzer ausgestorbene Tiere wie Ammoniten oder Mastodonten. Nachdem hier bereits klar geworden ist, wie Aussterberaten in geologischen Zeiträumen ermittelt, die katastrophalen Massenextinktionen in ihrer Ursache und Tragweite eingeschätzt und immer wieder divergierend diskutiert werden, nähern wir uns mit der gebührenden wissenschaftlichen Vorsicht der Theorie des titelgebenden, aktuellen Ausrottungsereignisses: Dem 6. Sterben.
Doch ganz so viel Vorsicht, so bemerken wir dann, ist hierbei gar nicht geboten. Die Zahlen sprechen eine drastische Sprache, und auch die gewöhnlich widerspruchsfreudigen Wissenschaftler erklären einmütig: Das sechste grosse Artensterben findet statt, und bezüglich seiner Ursachen, so komplex und vielgestaltig sie im Einzelnen sind, lässt sich als einzelner 'grosser Beweger' die Menschheit benennen. Deshalb geht es in diesem zweiten Teil des Buches weniger um die Frage, ob wir verantwortlich sind, als darum, wie genau wir das hinkriegen. Die grossen Themen, die uns Elizabeth Kolbert auch diesbezüglich wieder in präziser Kürze erläutert, sind deshalb aktuelle: Der Klimawandel, die Versauerung der Meere oder die vertrackten Folgen menschlicher Migrations- bzw. Reisebewegungen. Wir lernen allerlei über Ratten, über Inseln - an Land und im Meer -, über ökologische Kettenreaktionen und wiederum über bereits ausgestorbene oder sich noch knapp, mit viel menschlicher Unterstützung, ans Hiersein krallende Tiere: den Stummelfussfrosch, den Weisswangen-Kleidervogel oder das Sumatra-Nashorn. Wir schliessen mit einem Rück- und Ausblick auf näher verwandte, verdrängte und bedrohte Spezies: Den Neandertaler, und uns selbst.
Elizabeth Kolberts Buch ist also eine Warnung. Keine sirenengellende, hysterische Warnung, auch keine verzweifelte, schwarzseherische. Wiederholt zeigt sie auf, zu was wir Menschen ausser zur Verheerung ebenfalls imstande sind: Zur speziesübergreifenden Empathie und zu aussergewöhnlichen Bemühungen und Erfolgen im Artenschutz, against all odds. Eine leidenschaftliche Warnung ist es gleichwohl, trotz aller Nüchternheit und Differenziertheit, und gerade deshalb eine wirksame. Wir können dieses Gütesiegel sogar noch erweitern. Denn an den Rändern seiner Hauptthematik vermittelt das Buch einen weitläufigen, präzisen und gültigen Überblick über die ökologischen Herausforderungen unserer Zeit, der uns leicht das ein oder andere Buch zu den spezifischen Themen ersetzt. Dass diese ausserordentliche Dichte stets mühelos durchdringbar bleibt, gibt eindrückliches Zeugnis vom Können der Autorin ebenso wie von ihrem journalistischen Fleiss. Hut ab!
Rezension: Sacha Rufer
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