Autor | Werner Bätzing |
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Verlag | Rotpunktverlag |
Umfang | 145 Seiten |
ISBN | 978-3-85869-648-9 |
Preis | Fr. 11.-- (UVP) |
Die Kontroverse um die Zukunft der Alpen ist eines der, zumindest in unserem Fachbereich, beherrschenden Themen der diesjährigen Frühjahrspublikationen. Mit besonderer Spannung erwarteten wir dieses Buch des namhaften Alpenforschers Werner Bätzing. Dies nicht nur, weil ihm gerade eben der deutsche Alpenpreis für sein Lebenswerk verliehen wurde, sondern hauptsächlich, weil er uns als sowohl wissenschaftlicher wie sensitiver Alpenkenner als jene Autorität gilt, um die herum sich eine Meinung zu bilden als wenig weise gelten kann. Sein Buch ist nun etwas kleiner und schmaler ausgefallen, als wir uns das ausgemalt hatten. Doch da es dieses mangelnde physische mit inhaltlichem Gewicht mehr als ausgleicht, begrüssen wir auch diesen Umstand mit wehenden Fähnchen.
Im kurzen, ersten Teil seines Buches reflektiert Werner Bätzing den gegenwärtigen Zustand der Alpen. Die Alpen verwildern, stellt er fest, und ganz im Gegensatz zu manchen Umweltschützern und naturromantisch veranlagten Bergwanderern begrüsst er diese Entwicklung keineswegs. Denn - und da trifft er sich mit den meisten anderen Untersuchungen, die wir dazu kennen - die Biodiversität und die ökologische wie geologische Stabilität der Alpen nehmen mit ihrer fortschreitenden Verbuschung und Überwaldung ab. Die traditionellen Alpengesellschaften, so verdeutlicht er uns, lebten zwar keineswegs in 'Harmonie' mit der von ihnen meistenteils als bedrohlich erlebten Natur, doch gerade in ihrem kultivierenden Gestaltungsdrang bewiesen sie, zwangsläufig, Sinn und Sensibilität für nachhaltige Nutzungsgewohnheiten. Auch die herkömmliche kulturelle Vielfalt der Alpenbevölkerung, geboren aus regional andersgearteten Umweltbedingungen, belegt er uns solcherart als wertvoll und zweckmässig. Vor diesem Bild prüft und diskutiert er dann im zweiten Teil seines Buches fünf zeitgeistige Leitideen der Alpenentwicklung. Dies sind - bis auf die erste, die im wesentlichen die aktuellen Entscheidungsgewohnheiten weiterführt - überspitzte Visionen einer generellen Ausrichtung der Alpenregionen auf entweder Wirtschaftlichkeit, Tourismus, Energieerzeugung oder der prinzipiellen Preisgabe des alpinen Lebensraums an die Wildnis. Keine davon bewertet er als aussichtsreich und zukunftsträchtig - weder im wirtschaftlichen, im gesellschaftlichen noch im ökologischen Sinn.
Das ist, angesichts der demonstrativen Verabsolutierung der Konzepte, nicht besonders überraschend. Gleichwohl überzeugen die Argumente, die Werner Bätzing in diesem Kontext anführen kann, auch in einem gemässigteren Rahmen. Er nutzt sie, um im dritten Teil des Buches eine eigene, 'unzeitgemässe' Perspektive herauszuarbeiten. Diese orientiert sich im Wesentlichen an der Stärkung regionaler, kleinteiliger Produktion auf wirtschaftlicher und einer nachhaltig stabilisierenden Nutzung der alten Kulturflächen (bei gleichzeitiger Beschneidung des touristischen Ausbreitungswillens) auf ökologischer Ebene. Denn: Die natürlichen Ressourcen nicht zu nutzen, so gibt er uns zu verstehen, heisst noch nicht, sie dadurch zu schützen. Im schlimmsten Fall kann es auch nur die Aufkündigung eines Verantwortungsbewusstseins zementieren.
Weiter beinhaltet sein Entwurf eine Abkehr von der einzelzweckgebundenen Organisation des Raums - im Sinne von Gewerbe- kontra Naturschutzflächen, agrarischen Monokulturen oder Tourismuszentren - hin zur Multifunktionalität und zu Mischnutzungen, wobei er dann auch die gesellschaftliche Komponente noch deutlicher in sein Modell einarbeitet. In grober Zusammenfassung setzt er auf Diversität statt Zentrierung, auf gegebenheitsspezifische Lösungen statt Standardisierung und, noch grober, auf Subsistenz statt Profit. Wobei er aber - und das ist wesentlich - die Lebensansprüche und die kulturelle Integrität der Alpenbewohner nie aus den Augen verliert, sondern sie durchweg in den längerfristigen Fokus rückt.
Wir sind nun noch nicht vollständig überzeugt, ob eine teilweise Verwilderung der alpinen Lebensräume nicht auch einen ökologischen Beitrag abseits von Biodiversitätsbelangen leisten kann, und möchten auch den umweltpädagogischen und ökologischen Wert der Wiederansiedelung von grösseren Fleischfressern wie Bartgeier oder Luchs nicht so gering einschätzen, wie Werner Bätzing dies tut; gleichfalls ist uns nicht ersichtlich, wie die Organisation und Regelung einer Angleichung von endogenen (standortspezifischen) und exogenen (aussenorientierten, vom Standort meistenteils abgekoppelten) Raumnutzungen konkret zu bewerkstelligen wäre. Die gewichtigste Frage, die sich uns stellt, ist jedoch: Warum nennt der Autor seine Perspektive eine 'unzeitgemässe'? Denn unsere detailbezogenen Verunsicherungen - die gut und gern aus der leserfreundlichen Kürze und Prägnanz des Textes resultieren mögen und ganz insgesamt weiterer Fakten harren - beschädigen keine Sekunde unsere Wertschätzung dieses fundierten, intelligenten und feinfühligen Buches und seines Beitrags zur Alpenkontroverse. Gewiss, es ist ein grosser Wurf, eine Utopie, und mehr um Grundsatzüberlegungen besorgt als um tagespolitische Leitlichter. Doch genau dessen bedarf die gegenwärtige Diskussion um die Zukunft des Alpenbogens: Um ein richtungsweisendes Handzeichen hinaus aus dem Nebel vermeintlicher Sachzwänge und Alternativlosigkeiten. Sein Entwurf und seine Streitschrift sind da so hilfreich, konstruktiv und zeitgemäss, wie wir es uns nur wünschen können.
Rezension: Sacha Rufer
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