Buch «Das verborgene Leben des Waldes»

Buch «Das verborgene Leben des Waldes»

Ein Jahr Naturbeobachtung

Ein guter Quadratmeter uriger Wald, ein Jahr, ein Biologe. Das ist es, was uns ebendieser Biologe, David G. Haskell, von seinem Buch erwarten macht; alles weitere können wir deshalb als Überraschung werten. Und was waren wir davon dann ständig von neuem überrascht!

Autor David G. Haskell 
Verlag Verlag Antje Kunstmann
Umfang 325 Seiten
ISBN 978-3-95614-061-7
Preis Fr. 31.90 (UVP)

 

Es gibt da diesen dicken gelben Mann im Fernsehen, der sagte einmal: Boooring! An den genauen Anlass dazu erinnern wir uns jetzt nicht, aber bestimmt hätte dem biergeisterten Glatzkopf auch dieser hier gepasst: Ein Professor für Biologie, der sich ein gemütliches Sitzplätzchen an einem Abhang mitten in den Wäldern von Tennessee sucht, den Boden vor sich zu seinem einjährigen Forschungsprojekt ernennt und beschliesst, schliesslich ein Buch darüber zu verfassen. Langweilig? Die Chancen dafür, dachten wir uns, stehen gut. Noch befeuert wurde diese Einschätzung, nachdem wir die ersten Seiten dieses Buches gelesen hatten, auf denen uns der Autor, David G. Haskell, sein rundes Stück Waldboden von etwa einem Meter Durchmesser als sein "Mandala" vorstellt. Was sollten wir unter dieser Voraussetzung anderes erwarten als meditative Naturreflexionen eines bewollpulloverten Akademikers? Wir stellten präventiv eine grosse Kanne Kaffee bereit.

Einen ersten Knick erhielt unsere Einschätzung, als dieser wunderliche Biologe ein paar Seiten weiter auf die Idee verfällt, sich bei winterlichen minus zwanzig Grad seines (hypothetischen) Wollpullovers und aller weiteren Kleidung zu entlegen, um "die Kälte zu spüren wie die Tiere im Wald". Ein Unterfangen von kaum mehr als einer Minute Dauer, die er im Folgenden nicht als seine genussreichste beschreibt, aber das er trotzdem zum Anlass nimmt, uns den Wärmehaushalt von kleinen Vögelchen im Winter haarklein auseinanderzusetzen. Spätestens, als er uns kurz daraufhin ebenso anschaulich wie unterhaltsam die Selbstwiederbelebungstaktiken von Flechten und Moosen erläutert, wirft er all unsere Erwartungen über den Haufen.

In seinem metergrossen Mandala findet der Biologe Kapitel um Kapitel Anlass, uns die Natur zu erklären, wie sie uns selten erklärt wird. Nicht unbedingt bezüglich seiner Konzentration auf das Kleine, Unscheinbare - das wird ohnehin schnell einmal auf grössere Zusammenhänge ausgeweitet -, sondern ob seiner Themenwahl, die uns zuverlässig bei einer Frage erwischt, die wir uns beim Waldspaziergang schon einmal gestellt, aber dann nicht nachverfolgt haben - und anhand derer er uns dann zu fantastischen Einblicken führt. Und, weiter, nicht nur ob seiner Themenwahl, sondern ebenso ob seiner Erzählkunst, die uns anlässlich eines so beliebten Motivs wie Schneckensex genauso zu begeistern weiss wie angesichts exotischerer Sachverhalte; etwa der Beschreibung des Elektronenhaushalts im Innern eines Blatts.

Sogar unsere vorschnelle Aburteilung des meditativen Potentials von Herrn Haskells Naturmandala müssen wir revidieren. Denn ausserhalb seines Sich-Hineinkniens in die kleinen Wunder des tennessee'schen Waldbodens und des Lebens überhaupt, über all seiner profunden Sachkompetenz und seiner verblüffenden Detailbewandertheit lässt er uns teilhaben an seiner sinnlichen und besinnlichen Erfahrung 'seines' Waldes im Jahreslauf, an seiner Ruhe, seiner Unrast, dem beständigen Wandel. Ob er uns in einem Nebensatz vom Zirpen eines Laubfroschs oder ausführlicher vom wippenden Flug eines Truthahngeiers berichtet; allezeit gelingt es ihm, uns mittenhinein zu versetzen. Er führt so zusammen, was zusammengehört: Wissenschaft und jenen Zauber, den diese angeblich aus der Welt vertrieben habe, ökologisches Problembewusstsein und naturliebhaberische Beglückung. In dieser hinreissenden Verquickung ist David G. Haskells Buch ein Ausnahmebuch, selbst in der von allerhand vorzüglicher populärer Sachliteratur strotzenden Konkurrenz. Die grosse Kanne Kaffee jedenfalls, die wir vorsorglich bereitgestellt hatten... Nun, es wäre gelogen, zu behaupten, wir hätten sie nicht ausgetrunken. Allein, diesem kurzweiligen und lebensvibrierenden Buch dafür eine Schuld zuzuschieben, das wäre dreister Unfug.

Rezension: Sacha Rufer

 

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