Autor | Johano Strasser |
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Verlag | Dietz Verlag |
Umfang | 422 Seiten |
ISBN | 978-3-8012-0477-8 |
Preis | Fr. 44.40 (UVP) |
Bücher zum Fortschritt sind ja meistens spannend! ...auch wenn sie nur selten sonderlich zündende Titel haben. Dies einfach mal ins Blaue behauptend - nämlich einzig gestützt auf die paar Titel zur Thematik in unseren Regalen - vertieften wir uns mit Vorfreude ins Buch des Politologen und früheren Präsidenten des deutschen PEN-Zentrums Johano Strasser. Und siehe: Es ist spannend, und lehrreich, und geistreich, da abwägend kritisch. Hauptsächlich ist es aber getragen vom Willen, einen Ausweg auszukundschaften aus dem hilflosen "Weiter so", das uns in kollektivem Vorwärtsdrang zur Klippe treibt – und zwar nach Möglichkeit einen Ausweg, der nicht in dieselbe Richtung zielt. Das ist ambitioniert und bedeutsam.
Doch so weit sind wir in unserer Lektüre vorerst noch nicht. Erst einmal geht es darum, den ominös ausfasernden Begriff des 'Fortschritts' in klarere Konturen zu zwingen und zu erfassen, was wir damit meinen - und was wir, die Menschheit, damit ausserdem gemeint haben und wieder meinen könnten. Es geht also in die Vergangenheit. Dort verfolgen wir nach, wie wir aus einem zyklischen und später aus einem apokalyptisch-deterministischen Zeit- und Weltbild langsam vordrangen zu unserem heutigen, offenen Zukunftsverständnis; und damit überhaupt zur Auffassung der Fortschrittschancen im modernen Sinn. Bereits hier wird klar, dass Johano Strasser keineswegs gewillt ist, einem romantischen "Zurück zur Natur" oder fatalistisch-biologistischen "Zurück zu unseren Wurzeln" das Wort zu reden. Er sieht die Vorstellung eines 'Fortschreitens' des Menschen als Individuum und als Gesellschaft weiterhin als erstrebenswert; nur eben untergeordnet den Werten, dahin wir fortschreiten und uns verbessern möchten. Angetan mit diesem Gedankengut erleben wir dann, wie die anfangs noch weite Variabilität der Fortschrittsziele sich verengte zu jenem wissenschaftlich-technisch-ökonomischen Fortschritt, den wir heute hauptsächlich im Sinn haben.
Dieser wissenschaftlich-technisch-ökonomische Fortschritt - wir wollen ihn im Folgenden, um nicht der Zeilenschinderei schuldig zu werden, kurzerhand WTÖ-Fortschritt nennen - hat unser menschliches Sinnen und Trachten gefangengenommen... und die Welt als Geisel. Wie genau, das analysiert der Autor im zweiten Teil seiner Darlegungen anhand verschiedener Probleme und Dispute wie der Ressourcenbegrenzung, der Ausbeutung von Mensch und Natur und den zweifelhaften Verheissungen der individualistischen Selbstoptimierung. Im Zuge dessen tastet er sich an jene Werte und Konzepte heran, die den materialistischen Rechtfertigungen des WTÖ-Fortschritts Paroli bieten könnten, ohne hierfür auch gleich deren nützliche Wirkungen und unsere hart errungenen Freiheiten über Bord zu werfen. Diese Werte und Konzepte sind es dann, die er uns im Sinne einer groben Wegleitung im dritten Teil seines Buches auseinandersetzt und kritisch diskutiert.
Eine optimistische Herangehensweise, mag man versucht sein zu sagen: Gleichsam der Versuch, den "Föifer und's Weggli" zu behalten. Doch es gelingt Johano Strasser, seinen Optimismus nirgends zum Zweckoptimismus zu verkürzen und auch dann realistisch, plausibel und kritisch zu bleiben, wenn er uns einen geläuterten, reflexiven Fortschrittsbegriff an Stelle des WTÖ-Fortschritts ausformuliert und nahelegt.
Auf einer formalen Ebene bleibt anzumerken, dass uns das Buch vielleicht nur deshalb relativ mühelos zugänglich war, da wir einen beträchtlichen Teil der Bücher, die der Autor im Zuge seiner Sondierung kommentiert und diskutiert, bereits gelesen hatten. Da ergeht er sich dann auch manchmal in akademischen Diskussionen, die einem interessierten Laienpublikum kaum Aufschlüsse bieten. Im inhaltlichen Kontext bleibt durchweg, trotz gelegentlicher Ausbruchsversuche, ein milder Anthropozentrismus spürbar, der ob des Autors politologischer Berufung mit literarischem Engagement erklärbar, aber uns dennoch nicht immer wohlgefällig war. So schwankten wir dann in unserer Einschätzung und Bewertung seiner Argumente vom begeisterten Beifall über den leidenschaftlichen Einspruch bis zur schlichten Besserwisserei. Doch gerade dies dokumentiert deutlicher die Stärken als allfällige Schwächen seines Buches.
Es geht Johano Strasser nicht darum, uns autoritär und waghalsig eine Strasse in die andere, nachhaltige Zukunft zu schlagen. Er erobert stattdessen die umliegende Landschaft zurück und bietet sie uns, versehen mit einigen Warnschildern, Auskunftstafeln und Raststätten, zur Begehung an. Es geht ihm darum, uns aus unserer Einigelung in Marktvertrauen, technologiegläubiger Illusion und Demokratiemüdigkeit zu lösen und uns Mut einzuflössen: Zur Anstrengung unserer Fantasie, zum Zutrauen in unsere Vernunft und Gestaltungsmacht. Wie weit ihm dies gelingt, überlassen wir gern und mit Empfehlung der Selbsterfahrung einer weiteren Leserschaft. Den Untergrund aus Faktenwissen, Urteilsfähigkeit und historischer Referenz, von dem aus wir alsdann mutig fortschreiten mögen, hat er unstreitig mit vorbildlicher Sorgfalt bestellt.
Rezension: Sacha Rufer
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