Buch «Cheaponomics»

Buch «Cheaponomics»

Warum billig zu teuer ist

Haben Sie sich auch schon einmal gedacht, dass die Güter und Dienstleistungen, die Sie erstehen, zu preisgünstig sind? Vielleicht nicht... Immerhin gehen die Einschätzungen, die wir dazu hören, üblicherweise in die andere Richtung. Weshalb dem dennoch so ist, wie's kommt und wer's am Ende doch zahlt; das erläutert uns Michael Carolan in seinem Buch. Er ist dabei überzeugt, dass Waren nicht billig sein müssen, um erschwinglich zu sein.

Autor  Michael Carolan
Verlag  oekom
Umfang  300 Seiten
ISBN  978-3-86581-734-1
Preis  Fr. 29.90 (UVP)

Sie lesen diesen Satz gerade auf ihrem PC-Monitor, auf ihrem Laptop, iPad oder Smartphone. Sie betreiben diese längst mit Ökostrom? Noch besser: Sie haben sich bereits ganz aus dem konventionellen Stromnetz verabschiedet und laden ihre Akkus mit Solarenergie? Das ist gut. Nur leider, leider... Der Bärenanteil der Energielast, den unsere digitalen Aktivitäten zeitigen, ersteht nicht in unseren Geräten. Sie betreibt "dort draussen" Serverfarmen, hält Strominfrastrukturen in Stand, versetzt Berge von Gestein zur Gewinnung von mineralischen Rohstoffen für Mikroprozessoren... Und so weiter. Die gute Nachricht in der schlechten: Wir bezahlen das nicht. Der Preis der Suchmaschinen-Suche, die Sie hierher lenkte, ist sehr, sehr klein. Die schlechte Nachricht in der guten: Wir, und mit uns die gesamte Menschheit, bezahlen es doch.

Cheaponomics nennt der Soziologe Michael Carolan das System, welches uns unter Begriffen wie Globalisierung, Konsumwirtschaft oder schlicht Kapitalismus geläufig ist. Er nennt es zudem, in zielbewusster Provokation der Empfindlichkeiten seiner amerikanischen Heimat, Sozialismus: Kostensozialismus, um genau zu sein. Denn die Wirtschaftskultur, die sich nach Kräften bemüht, Kosten auszulagern (also zu externalisieren), oder sie gar nicht erst in die Rechnung aufzunehmen, sozialisiert diese Kosten. Verrechnet und bezahlt werden sie später als Steuergelder, als Gesundheitskosten, als Umweltschäden oder im Ressourcenmangel zukünftiger Generationen. Optimiert wird das Geschäftsmodell schliesslich, wenn die ausgelagerten Kostenbeiträge in Form von Subventionen, Steuernachlässen oder Standortvorteilen wieder in die Gewinnspannen zurückfliessen...

Bereits die obige, verkürzte Auflistung von Michael Carolans Beispielen, wie sich die wahren Kosten eines modischen Schnäppchens, des preisgünstigen Angebots im Supermarkt oder einer kurzen Autofahrt wieder in die Gesellschaft zurückstehlen, macht uns anschaulich, weshalb er in ihrer simplen Wieder-Internalisierung keine nachhaltige Lösung sieht. Auch wenn wir eine Möglichkeit fänden, auf den Kubikmeter Ackerboden, die kumulierten klimarelevanten Emissionen eines Parkplatzes oder den Verlust an Menschenleben im Krieg um Ressourcen ein Preisschild zu pappen und sie wieder den Produktionsketten zuzuschlagen, wäre erst eine Verteuerung der Waren gewonnen. Die würde wiederum hauptsächlich die Ärmsten belasten und die Einkommensschere noch weiter öffnen.

Eine Lösung, so macht uns Michael Carolan mittels seiner zahlreichen, verblüffenden Kostenaufrechnungen und weitläufigen Recherchen durchsichtig und glaubhaft, lässt sich nicht ins Gewebe des wirtschaftlichen Status Quo hineinsticken. Effizienzsteigerungen, Recyclingbemühungen und Kosteninternalisierungen haben ihre Berechtigung, verstellen jedoch oft den Blick auf den Kern des Problems: Dass die Kosten eines Systems der geplanten Obsoleszenz (Wegwerfartikel), des Designs von Bedürfnissen (Werbung) und der Fehl- bzw. Nichtbewertung von Umweltdienstleistungen jedes Wirtschaftssystem, jede Ökosphäre und jede Gesellschaft auf Dauer überfordern müssen. In diesem Sinne formuliert und versteht er seine Durchleuchtung dieses Status Quo dann auch nicht als eine gegen Wirtschaftseliten gerichtete, 'linke' Kapitalismuskritik, sondern als eine Mängelanalyse, die auch Wertkonservative sowie das berüchtigte "1 %" aufhorchen lassen müsste.

Die Vorschläge, die Michael Carolan uns anbietet, setzen denn auch auf die Betonung von Werten anstatt Preisen, auf Gemeinschaft und Kooperation anstatt Eigentum. So soll nicht mehr der Besitz, sondern der Zugang zu Gütern sichergestellt werden. Die Kostensozialisierung sollte erschwert und die Besteuerung vermehrt auf die Abgeltung schädlicher Aktivitäten (wie Umweltbelastungen) an Stelle nützlicher Tätigkeiten (wie der Arbeit) umgestellt werden. Zugang zu Bildung und Gesundheitsvorsorge, Stärkung der Demokratie und Neuorganisation der Arbeitsverhältnisse sind weitere Stichworte, um die sich die zehn Empfehlungen im Abschluss seines Buches ranken. Das liest sich alles nicht bahnbrechend neu, aber ausserordentlich scharfsinnig und sinnreich in gegenseitigen Bezug gesetzt.

Michael Carolans Buch ist ein wichtiges Buch. Das bleibt es auch nach Aufmarsch unserer Einwürfe und Detailbeanstandungen, die da wären: Die fast ausschliessliche Konzentration der Beispiele auf amerikanische Verhältnisse, und hier wiederum auf die herausgehoben drastischen. Die Entdeckung einiger Redundanzen in der Aufsummierung seiner Kostenrechnungen. Oder unser schon eingefleischter Unwille gegen gewisse Argumentationsstützen betreffs des Rebound-Effekts. Unsere grundsätzliche Skepsis gegen Lösungen, die kulturelle Wertvorstellungen vor politischen Prozessen oder konkreten Gesetzesvorgaben auf den Kopf stellen möchten, unterläuft der Autor hingegen durch die beharrliche Bezugnahme auf eben solche politische Realitäten. Sein Buch ist des Weiteren ein – trotz aller Relevanz und Schwere der Thematik – ausgesprochen anregendes und kurzweiliges Buch: Eines, dessen Bereicherung unseres Erkenntnishorizonts wir bald und nur allzu gern mit einer möglichst breiten Leserschaft teilen möchten.

Rezension: Sacha Rufer

 

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