Buch «H wie Habicht»

Buch «H wie Habicht»

Allesamt raten sie ihr davon ab. Die Abrichtung eines Habichts, sagen sie, wird dich wahnsinnig machen. Doch dann, als die Trauer um den Verlust ihres Vaters die Falknerin Helen Macdonald ohnehin an den Rand dieses Zustands drängt, wagt sie es und kauft einen jungen Habicht. Ihre Auseinandersetzung mit dem Greifvogel wird ihr – und uns – zu einer prägenden, kathartischen Reise in die Wildnisse in und um uns.

Autor  Helen Macdonald
Verlag  Allegria Verlag (Ullstein)
Umfang  411 Seiten
ISBN  978-3-7934-2298-3
Preis  Fr. 22.90 (UVP)

 

H wie Habicht ist ein Roman in dem Sinne, in dem Moby Dick ein Roman ist. Soll heissen: Genau so, wie es zu rechtfertigen wäre, Moby Dick als den Bericht einer Reise auf einem Walfänger zu charakterisieren, wäre es vertretbar, das Buch der englischen Historikerin und Falknerin Helen Macdonald als die autobiografische Aufarbeitung der Abrichtung eines Habichts vorzustellen; in den Grundzügen korrekt, aber in keinem Fall adäquat. Helen Macdonald Buch ist – bei aller Schlichtheit seiner Sprache und seinen Anleihen am Genre des populären Sachbuchs – ein literarisches Werk von erheblicher Ambition. Das hat uns, die wir in unserer Naivität einfach nur ein 'Vogelbuch' erwarteten (und uns höchstens kurz verwunderten, als es auf belletristischen Bestsellerlisten auftauchte), anfänglich durchaus irritiert. Doch dann...

Die Geschichte, die uns Helen Macdonald erzählt, ist oberflächlich eine simple. Sie, anlässlich des Todes ihres geliebten Vaters aus dem emotionalen Alltagstrott in die Fährnisse zerrüttender, unzivilisierter Gefühle geworfen, sucht Trost, Halt und Identifikation bei einem Habicht. Mit ihm, bzw. ihr – denn 'der' Habicht ist immer ein Weibchen, das Männchen wäre ein Terzel – lebt sie künftig in sich vertiefender Einsiedelei und Selbstentfremdung zusammen. Sie richtet sie ab, nennt sie Mabel, lässt sie fliegen und jagen und lernt schliesslich die Andersheit des Greifvogels genauso zu verorten und zu akzeptieren wie die eigene, verletzliche Menschlichkeit. Da hinein webt sie Ausführungen zum Selbstverständnis und zu den Techniken der Falknerei sowie Betrachtungen zur Lebensart, zur Wahrnehmung und zum eigensinnigen Charakter des Habichts... und immer wieder die Lebensgeschichte T.H. Whites. Er, der meistenteils unbeachtete, aber gleichwohl nie vollständig aus dem Kanon verstossene Autor; der Falkner, der nicht wusste, was er tat; der sexuell deviante, um Selbstakzeptanz ringende Mann schwimmt frei zwischen Positionen der Identifikationsfigur und des Kontrapunkts durch die Eigen- und Naturbetrachtungen der Autorin.

Da tun sich, unschwer zu erkennen, eine Menge an metaphorischen, symbolischen, kultur- und literaturrezeptiven Ebenen auf. Doch obwohl wir bei der Lektüre ein beachtliches Vergnügen daraus zogen, uns in diese zu verspinnen, wollen wir sie hier zu weitesten Teilen ignorieren und uns auf unser spezifisches Metier konzentrieren: Auf den Habicht und die sich in ihr manifestierenden Vorstellungen von 'Natur' und 'Wildnis'. Bestärkt fühlen wir uns darin von der Autorin selbst, die es bewerkstelligt, ihre Mabel nie zur blossen Metapher ihres Gefühlslebens zu reduzieren.

Selbst im Licht dieser eindimensionalen Betrachtungsweise bleibt ihr Buch bemerkenswert vielschichtig. Genauso wenig, wie es sich angelegentlich seiner Darstellung der identitätszerschmetternden Gefühlswirrungen des Trauerprozesses in die Klischees rühriger Schicksalsberichte verirrt, mag es sich simplen Glorifizierungen oder Verteufelungen der wilden Natur ergeben. Es betreibt stattdessen die entschlossen ehrliche, zwiespältige Erkundung dieser Natur, einschliesslich unserer Position darin. Da steht dann die triumphierende Freude der Autorin über den Jagderfolg ihres Habichts nackt neben ihrem jähen, schmerzlichen Mitleid mit der verendenden Beute; und bleibt so stehen. Das Entsetzen angesichts Mabels räuberischer, 'geistesgestörter' Grausamkeit mischt sich mit amoralischen Sehnsüchten und dem Entzücken ob ihrer Schönheit. Die Menschheit schliesslich, wie sie sich ihrem tastenden Zugriff präsentiert, zeigt sich neben ihrem Anspruch der kontrollmächtigen Gestalterin ihrer Umwelt genauso als eine Bande von Feiglingen, die sich beim ersten Donnerschlag in ein Erdloch zappelt. All dies mündet in eine zögerliche Einverständniserklärung, die sich nur des Einen ganz sicher ist: Unserer unentrinnbaren, beglückenden, beängstigenden Eingebundenheit in den ambivalenten Überschwang des Lebens.

Die von der Autorin mit rühmlicher Aufrichtigkeit vollzogene, sich von eingefahrenen Wertbezügen lösende Annäherung an 'die Natur' ist insofern bedeutsam, da wir uns ihr als Gesellschaft aktuell wieder stellen müssen – und als Naturschützer sowieso. Wir mögen dabei zu anderen Schlüssen und Positionen als den ihren gelangen. Unfehlbar kitzelt ihr Buch die Sensibilitäten so mancher Tierschützer – auch die unseren. So stockten wir wiederholt, wenn wir die unterschwelligen Echos eines vorpreschenden Lobes der Jagd zu vernehmen meinten. Doch gerät eben auch die verbreitete Neigung, jedwede Interaktion mit einem Wildtier sogleich als Tierquälerei zu verfemen, allzu leicht nur zur Fortschreibung einer überheblichen Naturentfremdung unter umgekehrten Vorzeichen. Der Anstoss zur unerschrockenen Prüfung unserer naturschützerischen Selbstpositionierungen und Weltbilder ist – neben seinen zahlreichen literarischen Lorbeeren – das bereichernde Verdienst und die faszinierende Herausforderung dieses Buches.

Rezension: Sacha Rufer

 

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