Autor | Josef H. Reichholf |
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Verlag | S. Fischer Verlag |
Umfang | 638 Seiten |
ISBN | 978-3-10-062947-0 |
Preis | Fr. 35.90 (UVP) |
Weil es sich so ergeben hat... Das ist Josef H. Reichholfs Antwort auf die Frage, warum er getan hat, was er getan hat: Nämlich ein siebzigjähriges Leben lang rund um die Welt die Natur zu erforschen, Tieren und ihren Lebensentwürfen, Gewohnheiten und Geschicken nachzuspüren und dabei unentwegt die Rätsel und Mechanismen der Evolution und der Ökologie auszukundschaften. Das mag ihm durchaus als eine gültige Antwort erscheinen, doch wir erspähen in seinem Lebensbericht noch weitere gewichtige Triebkräfte. Eine nimmermüde Faszination für das Leben in all seinen Erscheinungen, beispielsweise, einen immensen Wissensdurst und ein leidenschaftliches Engagement.
Es will zuvorderst eine Autobiografie sein, dieses neue Buch des uns schon von so einigen vorzüglichen Sachbüchern bekannten Evolutionsbiologen Josef H. Reichholf. Das misslingt ihm. Nicht völlig zwar: Wir erfahren tatsächlich so einiges vom Lebensweg des Autors; von prägenden Begegnungen, von Reiseerlebnissen in Südamerika, Afrika, Europa und Ozeanien oder auch den Zielen und Früchten seiner akademischen Tätigkeit. Doch zu weit überwiegenden Teilen erfahren wir von den Gegenständen seiner Wissbegierde. Also von all den grossen und kleinen, 'gewöhnlichen' und seltenen Tieren, an deren Beobachtung und Erforschung er uns lebhaften Anteil haben lässt. Wir erhalten weiterhin Einblick in seine Erkenntnisse zu ökologischen Zusammenhängen und folgen seinen Gedanken zu den grossen Fragen der Evolution, rätseln am Streifenmuster von Zebras herum oder begleiten die Gabelschwanzmöwen von Galapagos auf ihrem nächtlichen Fischfang. Und immer wieder nehmen dann urplötzlich Falter unsere Aufmerksamkeit gefangen, die uns in ihrer jeweiligen Eigenart ein gutes Stück abseits unserer landläufigen Vorstellung ihrer Lebensweise bekannt werden... Es liegt uns selbstverständlich fern, uns über diese ausschweifende Themenvielfalt zu beklagen. Im Gegenteil sehen wir gerade in dieser mosaikartigen Überschau - die auch spekulativen Gedankengängen anzuhängen wagt, den Blick zu weitläufigeren Wechselbeziehungen weitet und dabei die staunende Anteilnahme pflegt - den vordringlichen Wert seines Buches. Dies nicht nur für interessierte Laien, sondern ebenso für gestandene Biologinnen, die es nach einer Erfrischung ihrer Erklärungsansätze gelüstet.
Dass Josef H. Reichholf sein Augenmerk stärker auf die Kulisse als auf den genauen Wegverlauf seines Lebens legt, hilft uns auch bequem über eine erste kleine Schwäche seines neuen Buches hinweg. Denn sein Schreibstil, der anlässlich seiner populärwissenschaftlichen Werke stets alle Ansprüche bestens zu befriedigen vermochte, ist der packenden Nacherzählung von Erlebnissen weniger gefügig. Da fehlt dann oft die Lebendigkeit, die seinen Natur- und Tierschilderungen so durchgängig innewohnt. Glücklich also, dass er darauf keinen Schwerpunkt legt. Etwas lastender irritierte uns, wie der Autor wiederholt in die modische Rede von den "Gutmenschen" einstimmt. Das geschieht zwar zweifellos differenzierter, als es verbreitete Unsitte ist, doch durchaus in derselben Zielrichtung.
Ihren Anlass findet diese Schmähung in dem Umstand, dass der Autor nicht nur Naturforscher, sondern mit ebensolcher Leidenschaft Naturschützer ist. Ein unbequemer solcher, wie ihm nachgesagt wird. Und so mündet sein Buch in eine Würdigung und Kritik der Umweltbewegung. Josef H. Reichholf gibt hier zu bedenken, wie der Naturschutz sich paradoxerweise oftmals selbst vom Ziel seiner Bemühungen - dem Zugang zu einer möglichst vielfältigen Natur - aussperrte, indem er Naturflächen einhegte und künstliche Trennwände zwischen der Natur und dem Menschen hochzog. Ein zielgerechter Umweltschutz, so erwägt er, muss uns vorrangig die emotionale Bindung zu den Tieren und Pflanzen, den Wäldern und Flüssen in ihrem fortwährenden Wandel ermöglichen. Er sollte sich ausserdem verstärkt an wissenschaftlichem Sachverstand orientieren und sich festgefahrener Dogmatik entledigen.
Zwar sehen wir - ob unserer Erfahrungen mit der heranwachsenden Generation von Umweltbewegten – den Überhang von propagandistischer Ideologie vor zweckbewusstem Pragmatismus in den aktuellen Umweltbemühungen als nicht so drückend an, wie Josef H. Reichholf ihn uns vorführt. Doch seiner sorgenvollen Einschätzung, dass das Engagement für die Natur heute stärker einem schlechten Gewissen als kundiger Freude entspriesst, können wir uns nicht so leicht entwinden. Sein Buch ist speziell auch betreffs der Genesung zu dieser Freude eine ergiebige und wohltuende Medizin.
Rezension: Sacha Rufer
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