Autor | Andy Mulligan |
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Verlag | Rowohlt Verlag |
Umfang | 346 Seiten |
ISBN | 978-3-499-21724-1 |
Preis | Fr. 23.90 (UVP) |
Wir müssen vorausschicken: Der Brite legt einen bedeutenderen Fokus auf soziale als auf ökologische Missstände. Das war bereits bei "Trash" so, wo es um drei jener Jungen ging, die auf und von den Müllhalden Manilas leben, und eher noch stärker hier in "Liquidator". Aber selten erschien uns dieser Einwand so kleinlich wie hier, denn: Was für ein Buch!
Andy Mulligan versteht sich meisterlich auf die delikate Kunst, seine jugendlichen Protagonistinnen authentisch daherplaudern zu lassen. Also nicht aufgesetzt cool, nicht unrealistisch souverän, sondern lebendig und glaubwürdig. Dieses Kunststück gelingt ihm hier nicht nur bezüglich eines Einzelnen, sondern einer ganzen Schulklasse von Jugendlichen, die uns in ihrem jeweils persönlichen Tonfall von den wenigen Tagen berichten, in denen sie einer grossangelegten Vertuschungsaktion auf die Spur kommen. Der Energydrink Liquidator steht kurz vor der Markteinführung. Millionen sind in die vorbereitende Werbekampagne geflossen, namhafte Stars wurden angeworben, um der jungen Klientel das Getränk schmackhaft zu machen. Nur: In Afrika stirbt gerade ein Junge – Mitglied einer Gruppe unterprivilegierter Versuchskaninchen – an den Folgen der zuckrigen Koffeinbombe. Vicky, Ben, Katkat usw. stossen im Rahmen ihres Berufswahl-Praktikums auf diese geschäftsschädigende Tatsache und hangeln sich unversehens von Krise zu Krise in dem Bestreben, die ausbeuterische Geschäftspraxis eines multinationalen Konzerns öffentlich zu machen. Sowie, wer weiss, sogar den Jungen noch zu retten...?
Da mag dann bisweilen die handgreifliche Skrupellosigkeit, mit der der Konzern versucht, ein Rudel Schülerinnen mundtot zu machen, etwas überzogen erscheinen. Das sind halt die Konventionen des Thrillers, bzw. des Jugendbuchs. Dem Autor jedenfalls gelingt es innerhalb dieser Vorgaben nicht nur, den fesselnden Zug seiner Erzählung mühelos aufrecht zu halten, sondern er schafft, unverhofft und ohne aufdringliche Pathetik, ergreifende Momente der Empathie. Dies im Übrigen nicht nur mit dem unschuldigen afrikanischen Opfer, sondern ebenso mit seinen von Anpassungsanforderungen und überspitzten Schönheitsidealen bedrängten jungen Briten. Noch nachdrücklicher erweitert er die Genrekonventionen, indem er die aufrüttelnde Botschaft seines Buches über die dramatische Katharsis hinwegrettet.
Wir treten aus der kurzen, aber innigen Bekanntschaft mit seinen Heldinnen also nicht mit einem tröstlichen "Alles ist gut" heraus. Die Welt ist nicht gerettet, Gerechtigkeit höchstens im Einzelfall hergestellt. Dennoch entlässt uns Andy Mulligan nicht im Frust, sondern in wacher Solidarität mit den Leidtragenden unseres leichtfertigen Überflusses. Und möglicherweise sogar in leisem Zorn, wenn dann im letzten Satz des Buches der Lehrer seine Schulklasse – in erwachsener Ignoranz ihrer Leistungen – fragt: "Schafft ihr das, ein wenig Initiative zu zeigen?" Die dieserart angestossenen Impulse hallen nach und tragen weit – durchaus gewollt auch in Belange jenseits rein menschlicher Ausbeutung.
Rezension: Sacha Rufer
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