Autor | Sven Böttcher / Mathias Bröckers |
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Verlag | Westend Verlag |
Umfang | 335 Seiten |
ISBN | 978-3-86489-122-9 |
Preis | Fr. 24.50 (UVP) |
In ihrem neuen Buch demontieren Sven Böttcher und Mathias Bröckers an Hand von 72 Stichworten die Mär von der Alternativlosigkeit unseres Gesellschaftsentwurfs. Sie tun das als Ansporn und (Aus)Wegleitung für die Jugend - weshalb wir dazu tendieren, es auch älteren Semestern zu empfehlen.
Wenn ein Buch daherkommt und behauptet, "die ganze Wahrheit über alles" zu kennen, so knirscht es dem Rezensenten naturgemäss auf den Backenzähnen. Das wird nicht gemildert, wenn im Folgenden erklärt wird, für komplexe Probleme stünden ganz einfache Lösungen bereit. Denn erhärten sich nicht zunehmend die Verdachtsmomente, dass es eine "ganze", also einzige und absolute Wahrheit womöglich gar nicht gibt? Ebenso lernt man im Laufe eines lesenden Lebens, den vermeintlich einfachen Antworten zu misstrauen. Für das Versprechen ihres Titels müssen wir dem Romancier Sven Böttcher und dem Journalisten Mathias Bröckers also schon mal eine mahnende Rüge angedeihen lassen. Was wir hiermit getan haben. Dies aus dem Weg geräumt, entdecken wir ein spannendes und inspirierendes Jugendbuch, das sich auch in unseren nicht mehr ganz jugendlichen Händen bewährte.
Dass viele der Stichworte, zu denen die Autoren die Fakten gesammelt und in prägnante Texte gepackt haben, in unsere ureigenste Domäne der Umweltthematiken hineinspielen, dürfte - da es um die Zukunft geht - klar sein. Es geht darin demnach um Bienen, Commons, Erderwärmung, Fleisch, Müll, Ressourcen, Wasser... Tatsächlich finden wir (ausser der Biodiversität, der wir ein eigenes Kapitel gegönnt hätten) all die uns am Herzen liegenden Themen berücksichtigt. Daneben - und unerlässlich darin hineinspielend - dreht es sich hauptsächlich um gesellschaftliche Belange; um die Wirtschaft also und die Politik. All diese Themen werden nach einem sinnreichen Muster angegangen.
In einem jeweils ersten Teil, "Was gemeint war", zeigen die Autoren auf, dass Ideen wie der Kapitalismus oder Steuern keineswegs nur die eigensüchtigen Kopfgeburten böswilliger Eliten waren, sondern durchaus mal noble Ziele verfolgten. Im nächsten geht es dann darum, "was wir daraus gemacht haben". Das "Wir" beziehen sie dabei ausdrücklich auf ihre eigene Generation der über Vierzigjährigen, die sie dann mit einigem Genuss geisseln. Diese Praxis der Selbstkasteiung wirkt ab Mitte des Buches auch mal ermüdend, doch die eigentliche Zielsetzung der unter diesem Programmpunkt dargelegten Zusammenhänge wird davon nicht angekränkelt: Aufzuzeigen, wo genau jene schönen und, ja, vielfach auch einfachen Ideen vom Weg abkamen. Fast neigen wir dazu, diese Lektion darüber, wie selten gesellschaftliche Konzepte sich in ihrer Wirkung nach den ihnen zu Grunde liegenden Intentionen richten, als die wertvollste Botschaft des Buches zu preisen. Doch dafür sind dann viele der Inspirationen, die sich unter dem jeweils dritten Zwischentitel "Was ihr daraus machen werdet" finden, doch zu sinnreich, originell und ermutigend.
Wir wollen dabei festhalten: Das Buch beinhaltet mehr als ein Kapitel, zu dessen Gehalt wir uns aufs Prächtigste mit den Autoren kabbeln könnten. Wir halten ganz grundlegend die Verquickung von Wissen und Meinung, die Sven Böttcher und Mathias Bröckers pflegen (unbesehen unserer Einigkeit ob der Stossrichtung) für fragwürdig - also für nachstossender Fragen würdig. Dem mengt sich bei, dass sie sich, bei aller Belesenheit, in manchen der von ihnen kritisierten Sachverhalte nicht sattelfest zeigen: Wenn sie dem Dawkins'schen "Egoistischen Gen" Bewusstsein unterstellen, beispielsweise, oder wenn sie meinen, dass die Zweifel an der Wirksamkeit von Alternativpharmazie auf Tiere nicht anwendbar seien.
Doch wenn wir uns bei alledem auf den engeren Kreis unseres spezifischen Kompetenzbereichs besinnen - also auf die Stichworte zu Umweltthemen -, gleitet dieser gelegentliche Unmut wieder hinüber zur Zustimmung. Gewiss, wir sind uns nicht ganz so sicher wie die Autoren, wie weit die grossen Agrarkonzerne zum Schreckensbild des Bösen taugen, oder ob sich unser CO2-Ausstoss tatsächlich einfach in Bäumen einkerkern lässt. Aber dem von dem Buch mit zornigem Witz vermittelten Mut zur Veränderung, seinem Credo der Abkehr vom Haben zum Sein und der von den Autoren mutwillig angefachten Respektlosigkeit, sich von der Desillusionierung der vorgängigen Generation nicht die eigenen Utopien verhageln zu lassen, möchten wir unbedingt beispringen. Dem entsprechend beweist sich dann auch die "Einfachheit" ihrer Lösungsvorschläge weniger in Simplifizierung, sondern darin, unserer traurigen Rechtfertigung der eigenen Handlungsunfähigkeit: "Das ist alles viel zu komplex", kräftig vors Schienbein zu treten. Damit dieser Tritt am richtigen Ort gespürt wird, empfehlen wir das Buch nicht nur den Jungen, sondern auch all den (haha) Junggebliebenen. Hat mal jemand Salbe?
Rezension: Sacha Rufer
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