Buch «Magnet Stadt»

Buch «Magnet Stadt»

Urbanisierung im Globalen Süden

Es geschieht hierzulande ja eher selten, dass ein verarmter Bergbauer an den Stadtrand von, sagen wir, St. Gallen zieht und sich dort auf einer Industriebrache eine Hütte aus Brettern, Plastikplanen und Wellblech zusammenzimmert. Der Sachverhalt der weltweiten Urbanisierung, "Verstädterung", ist uns in ihren prekären Auswirkungen deshalb vorwiegend ein urlaubsanekdotischer oder statistischer. Einhard Schmidt-Kallerts informatives kleines Buch führt uns hinaus aus den abstrakten Datensätzen und Diagrammen zur Urbanisierung im Globalen Süden, hinein in ihre pralle Realität.

Autor Einhard Schmidt-Kallert
Verlag Peter Hammer Verlag
Umfang 175 Seiten
ISBN 978-3-7795-0560-0
Preis Fr. 26.90 (UVP)

 

Als die übergeordnete Verlautbarung des Buches des Sozialgeografen und Entwicklungshelfers Einhard Schmidt-Kallert liesse sich zusammenfassen: Es gibt sie nicht, "die" Urbanisierung. Zumindest nicht im Globalen Süden, wohin er uns führt und wo er sich auskennt; in Afrika, Lateinamerika und Asien. Es gibt dort ein massgebliches, nicht selten sogar enormes Wachstum der Städte, und da dann wiederum hauptsächlich eines der informellen Siedlungen - der Slums oder "Spontansiedlungen", der Favelas, Bastis und Bidonvilles. Doch eine einheitliche Entwicklung, eine gleichförmige Struktur oder gar eine eindeutige Begründung dieses Wandels findet sich kaum. Gewiss, Armut ist meistenteils ein Auslöser. Doch ebenso ins Gewicht fallen mag der Sog der Stadt: Der individualistische Ausbruch aus dörflichen Verhältnissen, schlichte Neugier oder das Versprechen eines schicken Mantels. So zeichnet der Autor dann auch ein facettiertes Bild der verschiedenen Triebkräfte und Erscheinungsformen der Stadtentwicklungen rund um die Welt; von Rio über Daressalaam bis Jakarta oder Peking. Er orientiert sich hierfür an Fragestellungen. Wovon leben die Menschen in den Armensiedlungen? Wie finden sie Wohnraum, und wie organisieren sie ihn? Weshalb kommen sie überhaupt, und wie springen dann die Stadtverwaltungen mit ihnen um? Wie sieht's aus mit Gewalt und Kriminalität? Und wie finden sich zwischen alledem die Kinder zurecht?

Zur gewissenhaften Beantwortung dieser Fragen wechselt Einhard Schmidt-Kallert oft und gern die Perspektive. Da erläutert er aus der Vogelperspektive die grossen Stadtplanungs-Philosophien in den Zeitläufen, setzt sich dann in den Zug und blickt schräg aus dem Fenster auf ihre Hinterlassenschaften, um gleich darauf durch die Strassen zum Tee mit einem Anwohner zu spazieren. Es entsteht so ein lebendiges und weltläufiges Bild der Zusammenhänge und Problemstellungen der Urbanisierung - im Detail wie in ihrem grösseren globalen Umfang. Angesichts dieser vielfachen Aufsplitterung der Thematik und dem daraus sprechenden Misstrauen gegen Verallgemeinerungen überrascht es dann erst einmal, dass er im Ausgang seines Buches nach neuen Visionen und Utopien ruft. Immerhin hat er gerade viel Sorgfalt dabei bewiesen, uns das Versagen ihrer Vorläufer auf Grund der ihnen innewohnenden Idealvorstellungen zu erläutern. Doch es ist ihm ebenso bewusst, dass sich hier ohne eine präzisere Zielvorstellung, einen wenigstens grob planvollen Lösungsentwurf nur wenig in Richtung einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit bewegen wird. Dass es daran zurzeit noch weithin mangelt, haben wir bis dahin schon mitbekommen.

Dass sich Einhard Schmidt-Kallert nicht gleich selbst um einen solchen Entwurf bemüht, würden wir ihm nun gern vorwerfen. Es erklärt sich jedoch überzeugend aus seiner Erfahrung mit jenen "importierten Konzepten", die sich dann vor Ort als an den Lebenswirklichkeiten der Betroffenen vorbeikonzeptiert erweisen. Wir hegen denn auch den dringenden Verdacht, dass es Zurückhaltung und nicht etwa Ideenlosigkeit ist, die ihn sich darauf beschränken lässt, uns Laien der Raumplanung und Entwicklungsstrategie mit seinem kleinen Buch erst einmal 'nur' ein belastbares Fundament bezüglich der vielschichtigen Thematik der Urbanisierung im Globalen Süden aufzubauen.

Auf diese Laientauglichkeit zielt unter anderem auch seine Entscheidung, uns weniger mit Auszügen aus Studien oder Fachartikeln zu behelligen, als stattdessen immer wieder bewegende Schilderungen aus der lokalen Belletristik in seinen Text einzustreuen. Zwar zeigt er sich in dieser Orientierung dann gelegentlich zu optimistisch - wenn er beispielsweise den einen oder anderen Fachbegriff erst erklärt, nachdem wir uns bereits durchs Netz gewühlt haben -, doch das sind allenfalls Kleinigkeiten. Sein Buch zur Urbanisierung im Globalen Süden bleibt ein beeindruckend lebendiges, erfahrungssattes und vielseitiges kleines Werk: Für all jene, die sich ob der komplexen Fragestellungen dieser zukunftsprägenden Entwicklung nicht gern mit wohlfeilen Vereinfachungen zufrieden geben.


Rezension: Sacha Rufer


 

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