Buch «Das antikapitalistische Buch der Mode»

Buch «Das antikapitalistische Buch der Mode»

Mode. Was ist das? Haute Couture oder Firmen-T-Shirt, It-Bag oder Modeschmuck? Tansy E. Hoskins ist es ganz egal, denn alles wächst auf demselben System, dem die Ausbeutung von Mensch um Umwelt zwanghaft eingeschrieben ist. Und so gerät ihr Buch nicht nur zu einem hintergründigen Einblick in die Welt der Mode, sondern ebenso zu einer vehementen Streitschrift gegen den Kapitalismus.

Autor Tansy E. Hoskins
Verlag Rotpunktverlag
Umfang 319 Seiten
ISBN 978-3-85869-705-9
Preis Fr. 26.-- (UVP)

 

Kaum schlagen wir ein Buch über Mode auf, rotiert für die folgenden drei Tage der Bowie-Song "Fashion" durch unser Oberstübchen. Das mag daran liegen, dass wir diesen Bowie mochten. Oder auch daran, dass wir aus diesem speziellen Track dann trotzdem nicht schlau wurden: Wie war er nun gemeint? Ironisch? Falls dem so war, scheiterte er grandios. Er wurde sogleich zur Hymne der Laufstege und zu einer Lektion darüber, wie leicht es der Modeindustrie fällt, sich Kritik sofort auf den eigenen Leib zu schreiben: "Ihr Punks beliebt euren Argwohn gegen Establishment und Gleichschaltung zu demonstrieren? Bestens, wir versorgen euch mit den passenden Hosen, Schuhen und Accessoires dazu."

Ironie ist also an die Modeindustrie verschwendet. Die Journalistin Tansy E. Hoskins setzt stattdessen auf Leidenschaft, Sachkenntnis und rechtschaffenen Grimm, während sie die hübschen Vorhänge vor den Fenstern zur Modewelt zerschneidet. Leidenschaft dann, wenn durchwegs spürbar bleibt, dass ihr die Mode keine beliebige Zielscheibe ihrer Systemkritik, sondern Herzensangelegenheit ist. Sachkenntnis weiterhin, wenn sie diese Leidenschaft in nüchterne Analysen und Faktenrecherchen gewandet. Und schliesslich Grimm, der sich von der genannten Nüchternheit nicht zur flauen Relativierung besänftigen lässt, sondern uns die Zustände in asiatischen Sweatshops, hinter den Kulissen der Modeschauen oder in den Bassins der australischen Krokodilfarmen als das vorführt, was sie sind: Widerwärtig.

Dabei startet sie noch verhältnismässig beschaulich. In einem ersten grossen Bogen betrachtet sie die grundlegenden Weichenstellungen der neueren Geschichte, die schliesslich zum strapaziösen Karneval der Fast Fashion führten. Sie verhilft uns damit, gerade weil sie Haute Couture und Massenmode, Luxus und Popkultur munter zusammenwirft, zu erhellenden Einsichten: Wie die scheinbare Vermengung von elitärem Kunstbegehren mit massentauglicher Konsumware keineswegs zu einer Aufhebung von Klassenschranken führte. Wie Modemagazine mit unsichtbarer Hand dazu angeleitet werden, jene Modeinnovationen zu stützen, die praktischerweise schon auf Lager liegen. Oder eben: Wie's kommt, dass wir so gern als unseren individuellen Stil definieren, was alle anderen auch tragen, und gleichzeitig vermeiden, in die Abgründe hinter die Fassade zu gucken.

Mit Tansy E. Hoskins Blick eben da hin, in die Abgründe, wird es dann zunehmend ungemütlich. Sie führt uns durch die baufälligen Fabriken in Bangladesch und China, wo soeben unser nächstes Schnäppchen geschneidert wird, und hinten hinaus an den schlammig-verseuchten Fluss, aus dem die Schneiderinnen abends ihr Kochwasser schöpfen. Wir wandern zu den Pelzfarmen und den pestizidverpesteten Baumwollfeldern, die die Rohstoffe an die Fabriken liefern, und weiter zu den geschändeten Landstrichen, die das dereinst taten. In der Ferne hören wir derweil einen Modelagenten seinem Model zuflüstern, dass eine Hinwendung zur Magersucht jetzt gewiss nicht die schlechteste Wahl wäre... Die Autorin führt uns schonungslos all das vor, wovon wir uns entweder entscheiden, nichts zu wissen, oder von dem wir uns mittels des Shoppings der "richtigen" Kleidung freizukaufen suchen. Damit langen wir bei der illusionszerschmetternden Botschaft ihres Buches an: Dass es die "richtige", faire, gewissensschonende Mode nicht gibt.

Tansy E. Hoskins sieht also keine Reform des Hamsterrad-Systems der Mode oder des Kapitalismus nahen; keine Chance, die ausbeuterischen Mechanismen des Konsums mit nur einem anderen Konsum auszuhebeln. Angesichts der Machtfülle weniger grosser Konzerne fordert ihr systemischer Blick einen Wandel der Machtverhältnisse; sprich, eine Revolution. Wir möchten nun einwerfen, dass wir ihren Optimismus bezüglich der zielgerechten Veränderungskraft von Revolutionen nur sehr bedingt teilen, oder bemängeln, dass ihre Gegenentwürfe zum inhärenten Raubbau, Rassismus und dem tyrannischen Schönheitswahn der Modeindustrie im wolkig Ungefähren verbleiben. Genauso hegen wir ernstliche Zweifel, dass sich "Menschen, die sich vom Kapitalismus befreit haben", dann wie von selbst "wieder als Teil der Natur wahrnehmen". Doch wir möchten uns aus der Beklemmung, die ihr Buch hervorruft, auch nicht sogleich wieder in eine eitle Selbstberuhigung hinein befreien. Ihre Einwürfe betreffs eines alternativen Konsumverhaltens, das dann der so wandelbaren Modeindustrie anderswo wieder in die Hände spielt, sind scharfsinnig und wichtig. Sie verficht zudem ihre Argumente so plausibel - und dabei noch so freundlich, ehrlich und zuversichtlich - dass wir unbedingt empfehlen, uns in diese Beklemmung zu folgen.


Rezension: Sacha Rufer


 

Kommentar schreiben

Die Kommentare werden vor dem Aufschalten von unseren Administratoren geprüft. Es kann deshalb zu Verzögerungen kommen. Die Aufschaltung kann nach nachstehenden Kriterien auch verweigert werden:

Ehrverletzung/Beleidigung: Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen. Dazu gehören die Verwendung von polemischen und beleidigenden Ausdrücken ebenso wie persönliche Angriffe auf andere Diskussionsteilnehmer.

Rassismus/Sexismus: Es ist nicht erlaubt, Inhalte zu verbreiten, die unter die Schweizerische Rassismusstrafnorm fallen und Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Kultur oder Geschlecht herabsetzen oder zu Hass aufrufen. Diskriminierende Äusserungen werden nicht publiziert.
Verleumdung: Wir dulden keine Verleumdungen gegen einzelne Personen oder Unternehmen.

Vulgarität: Wir publizieren keine Kommentare, die Fluchwörter enthalten oder vulgär sind.

Werbung: Eigenwerbung, Reklame für kommerzielle Produkte oder politische Propaganda haben keinen Platz in Onlinekommentaren.

Logo von umweltnetz-schweiz

umweltnetz-schweiz.ch

Forum für umweltbewusste Menschen

Informationen aus den Bereichen Umwelt, Natur, Ökologie, Energie, Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Das wirkungsvolle Umweltportal.

Redaktion

Stiftung Umweltinformation Schweiz
Eichwaldstrasse 35
6005 Luzern
Telefon 041 240 57 57
E-Mail redaktion@umweltnetz-schweiz.ch

Social Media

×

Newsletter Anmeldung

Bleiben Sie auf dem neusten Stand und melden Sie sich bei unserem Newsletter an.