Autor | Matthias Wolfschmidt |
Verlag | S. Fischer |
Umfang | 234 Seiten |
ISBN | 978-3-10-002546-3 |
Preis | Fr. 24.50 (UVP) |
Wenn sie wieder mal durchs Netz oder den Blätterwald wandern, die Bilder von plattgedrückten Ferkeln, zerhackten Hühnern oder kranken Rindern, dann stutzt der Konsument, schreibt vielleicht einen Brief oder malt ein Plakat und horcht bald darauf den besorgten Erklärungen seines Tierprodukteherstellers. "Schwarze Schafe gibt es leider überall", sagt der dann: "Ganz verhindern lässt sich das nicht. Aber…". Nein, sagt nun Matthias Wolfschmitt: Nein! Das sind keine schwarzen Schafe. Das ist die Norm.
Dieser Matthias Wolfschmitt sagt das nicht einfach so, aus der Gemütlichkeit seines Lehnstuhls heraus. Er ist, zum einen, Tierarzt. Als solchem ist ihm das Elend in den Ställen nur allzu bekannt, und es scheint ihm darüber kein dickes Fell gewachsen zu sein. Seine Anklage des Tierqual-Systems jedenfalls ist so scharf und leidenschaftlich, wie man es sich nur wünschen kann - zumindest, insofern man bereits Vegetarierin oder Veganer ist. Zum andern ist er stellvertretender Geschäftsleiter der regsamen deutschen Verbraucherschutz-NGO foodwatch. Als diesem - und als langjährigem wissenschaftlichem Mitarbeiter im deutschen Bundestag - ist ihm wiederum bekannt, dass es verfehlt wäre, hier nun mit dem Finger auf die bösen Bauern oder die Schlachthöfe zu zeigen. Der Fehler, so stellt er dar, liegt im System.
Diese Feststellung verleitet ihn dann aber wiederum nicht zu ideologischen Abstraktionen. Als Tierarzt ist ihm ein Begriff geläufig, den er all den Reden von Tierwohl oder Massentierhaltung vorzieht: Produktionskrankheiten. Krank werden Tiere ja überall, egal ob im Wald, auf der Weide oder im Stall. Produktionskrankheiten sind nun aber spezifisch jene Krankheiten, denen wir die Tiere in unserer Suche nach Effizienz und Wirtschaftlichkeit in der Tierhaltung aussetzen: Verhaltensstörungen, Überbelastungen, Zuchtgebrechen... Sie sind grausam, sie sind vermeidbar, und sie sind systemimmanent; will heissen, sie sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ihre gezielte Erfassung und Bekämpfung, so Matthias Wolfschmitt, wäre ein gangbarer, zielgerichteter und vor allem messbarer Weg, das Tierleid in unseren Ställen markant zu mildern.
Dass dies nicht geschieht, führt er erst in zweiter Linie auf die Profitgier von Milchkonzernen und Fleischmultis zurück - auch wenn er uns hier aufschlussreich vorführt, wie diese die Schönfärbung von Nebelwänden zur Kunstform stilisieren. Er konstatiert hauptsächlich ein Versagen der Politik, die den schönen Worten von der Würde des Tiers keine klaren gesetzlichen Richtlinien folgen lässt oder diese zumindest nicht konsequent umzusetzen gewillt ist. Anstatt die Qualität der Tierhaltung zu belohnen, orientiert sie sich in ihrer Subventionsausschüttung an Quantitäten - und befestigt damit die Rolle des "verantwortungsvollen" Fleisches als einem Nischenprodukt. Wobei dann die Tiere, die für diese Produkte gehalten werden - Ökofleisch, Freilandeier oder Biokäse -, keineswegs zwangsläufig gesünder sind. Der Preisdruck, so lernen wir ernüchtert, wirkt trotz höherer Zahlungsbereitschaft auch hier, und überhaupt sei es nicht eine Frage der Tierhaltung allein, zu tiergerechten Zuständen durchzubrechen. Gesundheitsmanagement oder ein Bruch mit den Hochleistungs-Zuchtzielen sind zwei der Stichworte, die er hier einwirft. Dass die einzelnen Konsumenten all dies über ihre Kaufentscheidungen allein nicht richten können, versteht sich von selbst. Er plädiert deshalb eindringlich auf den politischen Mut, hier verbindliche Regelungen einzusetzen und dem geforderten Tierwohl auch einen materiellen Wert gutzuschreiben.
Matthias Wolfschmidt schreibt aus der EU, spezifisch aus Deutschland. Nicht jede seiner Beobachtungen und Darstellungen lässt sich eins zu eins auf die Schweiz übertragen. Doch sorglos zurücklehnen sollten wir uns deshalb nicht. Ganz zu schweigen davon, dass wir Fleisch ja auch importieren, beschreibt er eben ein System - und dieses wirkt hier wie dort. Da muss seine Aufforderung, uns zu Gunsten unseres guten Gewissen nicht von Scheinlösungen täuschen zu lassen, auch hierzulande vernommen werden, und ebenso geht uns die bittere Erkenntnis an, die er uns zumutet: Dass das appetitliche Filet oder die gesunde Milch, die wir gerade geniessen, mit bestürzender Wahrscheinlichkeit von einem kranken, leidenden Tier stammt. Einer Einsteigerin in die Thematik wollen wir sein Buch jetzt dennoch nicht empfehlen. Dafür ist es, bei all seiner Wucht, doch schon zu tief in die aktuelle Debatte eingestrickt. Doch all jenen, die mit den grundlegenden Positionen und Argumenten dieser Debatte um die Nutztierhaltung bereits vertraut sind, wollen wir es mit Nachdruck ans Herz legen.
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