Autor | Jakob Weiss |
Verlag | Orell Füssli |
Umfang | 211 Seiten |
ISBN | 978-3-280-05651-6 |
Preis | Fr. 22.90 (UVP) |
Wenn Jakob Weiss von einem leisen Sterben der Schweizer Landwirtschaft spricht, so bezieht er sich damit nicht in erster Linie auf eine Dezibelzahl. Dass sich die Klage über Sein und Sollen der Bauern gern auch mal etwas lauter inszeniert, das beweist uns ja schon der Besuch einer Messe, eines politischen Forums oder der Dorfbeiz. Jakob Weiss meint es grundsätzlicher: Dass nämlich der Schweizer Landwirtschaft ihr ureigener Wortschatz abhandenkommt. Ersetzt wurde er durch Begriffe aus Ökonomie und Technik, die den Kern bäuerlichen Tuns aber geräumig umfahren. Eine tatsächlich nachhaltige Lebensmittelproduktion, so Jakob Weiss, ist in diesen Begriffen nicht angelegt.
Weshalb sich der langjährige Bauer und Agrarwissenschaftler ausgerechnet der Sprachanalyse verschreibt, um die Fehlentwicklungen in unserer Landwirtschaftspolitik auszuforschen, hat indessen auch einen pragmatischen Grund. Er hofft, mittels dieser ungewohnten Perspektive den Detaildiskussionen auszuweichen, die sofort anheben, sobald Wörtchen wie "Direktzahlung" oder "Pestizid" laut werden. Und das ist sinnvoll, denn so kann er uns einen umsichtigen Überblick über die Entwicklungen verschaffen und muss das dabei gezeichnete Bild nicht gleich wieder dem tagesaktuellen Klein-Klein anheimgeben. Dieses Bild, das er zeichnet, ist das eines Verlusts; nicht nur jenes wohlbekannten Verlusts an Bauernhöfen, sondern auch einer Kultur.
Was also ist falsch an einer marktorientierten und produktionseffizienten Landwirtschaft? Mittels seiner Analyse beliebter Phrasen und Wortschöpfungen der industriellen Agrar-Wirtschaft führt Jakob Weiss den Nachweis, dass diese die Anforderungen der bäuerlichen Arbeit ganz grundlegend verkennen. Diese Arbeit wäre eine geduldige, kooperative, zyklische und stetige, wohingegen das ökonomisch-technische Vokabular weitgehend gegenteilige Werte beschwört; Aktualität, Konkurrenz, Innovation, Strukturwandel... Wie sich die bereitwillige Unterordnung von Politik und Bauernverbänden unter diese Begriffe (und ihre enthaltenen Ansprüche) als genau jene ausbeuterische, degradierende und umweltproblematische Nahrungsproduktion entfaltet, die wir allseits beklagen, das führt er uns dann eindrücklich vor: Als ein Desaster.
Zwar stösst er bei längst nicht jeder linguistischen Ausgrabung auf Gold. Bisweilen hängt da eine polemische Konsumkritik einfach nur reglos im Raum, und so einige seiner süffisanten Fragen bleiben rhetorische, wo sie doch möglicherweise wesentliche wären. Gleichwohl gelingt es Jakob Weiss, im abstrakten Überblick anschauliche Bodenhaftung zu halten und - ihm noch höher anzurechnen - dabei nach allen Seiten kritikfähig zu bleiben. So verbietet es ihm seine engagierte Fürsprache für eine nachhaltige Agrarwirtschaft keineswegs, auch mal den "guten" Bio-Bäuerinnen und -Bauern an den Karren zu fahren. Tatsächlich, so gibt er zu bedenken, ist das Problem ja auch nicht einzig das einer profitmaximierenden Landwirtschaft mit Technikfimmel. Es liegt in einem grundsätzlichen Fehlverständnis der bäuerlichen Berufung. Er schlägt vor, dass sich diese, statt sich im wetterwendischen Wettkampf um Flächen und Ertragszahlen aufzureiben, wieder auf ihre natürlichen Grundlagen und Qualitäten besinne - auf eine mehr vom Leben als von Märkten abhängende Agri-Kultur.
Wenn wir Jakob Weiss einen Vorwurf machen wollen - und das wollen wir jetzt -, dann ist es jener der Kraftlosigkeit seiner Zeichnung dieses revidierten bäuerlichen Selbstverständnisses. Ja, doch, wir können uns schon ein verschwommenes Bild machen von dem stolzen erdölunabhängigen Bauern mit dem Ohr an seinem nachhaltig gesunden Boden und einem steifen Rückgrat gegen die Ansprüche von Milchkonzernen! Doch das müssen wir uns aus den allzu flüchtigen Andeutungen, die er uns dahingehend liefert, selbst zusammensetzen - und die Macht zur Verführung besitzt es nicht. Diese Verführung aber wäre, in Hinblick auf die Wirkkraft seiner beantragten gesteigerten Wertzuschreibung der landwirtschaftlichen Tätigkeit, eine dringende Erfordernis.
Wir sind also nicht durchwegs glücklich mit Jakob Weissens Buch. Weniger, da wir es nicht für wertvoll hielten, als auf Grund unserer Befürchtung, dass es seinen Wert nicht deutlich genug ausspielt. Das wird uns nun aber nicht abhalten, es zu empfehlen. Jakob Weiss legt viel Mühe und Sorgfalt darein, uns ein faires und dennoch streitbares Gesamtbild unserer Landwirtschaft darzubringen. Er beweist dabei Scharfblick, Originalität und erzählerisches Talent. Er stellt die richtigen, übergeordneten Fragen, die im Hickhack der Interessenverbände kaum je aufkommen, und er stellt sie den richtigen Leuten - uns allen, ganz ungeachtet unseres ökosozialen Bekenntnisses. Sein kluger Anstoss zur Belebung einer vielschichtigen Agri-Kultur darf in dem genannten Hickhack nicht sogleich wieder untergehen.
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