Autor | Monika Niehaus / Andrea Pfuhl |
Verlag | S. Hirzel |
Umfang | 238 Seiten |
ISBN | 978-3-7776-2622-2 |
Preis | Fr. 31.10 (UVP) |
Es ist ein munterer kleiner Geselle, der da durch die Lüfte hechtet. Er ist gerade auf halbem Weg von seiner Absprungstation, einer Ratte, zu einer ähnlich verführerischen Nahrungsquelle auf zwei bestrumpften Beinen. Er ist ein Rattenfloh, ein Parasit, und er wird diesen spezifischen Strumpfträger in wenigen Tagen getötet haben. Davon ahnt er jetzt aber noch nichts. Es ist auch nicht seine Absicht. Denn er, der Parasit, ist selbst parasitiert: Er hat die Pest an Bord. Es liesse sich darauf plädieren, er sei Täter und Opfer zugleich. Ach, die Welt ist kompliziert.
Solche direkten und indirekten Verflechtungen, Beziehungen und Zusammenhänge zwischen Parasiten und ihren Zwischen-, End- und Fehlwirten setzen uns die Biologinnen Monika Niehaus und Andrea Pfuhl in ihrem neuen Buch detailliert, aber bestens nachvollziehbar auseinander. Dabei ist das noch nicht einmal die vorrangige Zielsetzung ihres Buches. Diese ist es, anschaulich zu machen, wie es winzigen Blutsaugern, Bakterien und Viren gelingt, den Weltenlauf und die einzelnen Schicksale von Menschen zu beeinflussen.
Manchmal, wie in dem Beispiel des Rattenflohs und der Pest, sind die Wirkungen offenkundig und brutal. Manchmal sind sie vergleichbar unerfreulich, führten jedoch mittelbar zu nutzbringenden Entwicklungen: Die Plage der Syphilis als Geburtshelferin der modernen Pharmazie, etwa. In fast allen Fällen aber nahmen unsere Parasiten Einfluss auf unsere Mythen und Märchen, auf die alltäglichen Gewohnheiten und so schliesslich auf unsere Kulturen und Lebensverhältnisse. Die Parasitologie dringt dann tief in die Stammesgebiete der historischen und sozialen Wissenschaften vor: Ähnlichkeiten zwischen Symptomen der Tollwut und den überlieferten Vorstellungen vom Verhalten der Vampire sind da ein Erklärungsansatz, auf den uns Andrea Pfuhl und Monika Niehaus aufmerksam machen. Und manchmal sind die Zusammenhänge so subtil und versteckt, dass wir gerade erst beginnen, sie zu entdecken. Es mehren sich die Zeichen, dass Parasiten über neurobiologische Prozesse ganz direkten Einfluss auf das Verhalten ihrer Wirte ausüben. Eine Ameise, die sich den Vögeln plötzlich als ein Leckerbissen anbietet? Ein Schimpanse mit dem suizidalen Begehren, mit Leoparden zu kuscheln? Hamlet, in Schwermut gefangen...
Nach dieser aufwühlenden Botschaft zielt ihr Buch: Dass Mikroorganismen wie Streptokokken, Wolbachia oder Toxoplasma sehr wahrscheinlich nicht nur Macht über unser körperliches Wohlbefinden, sondern auch über unsere Psyche haben. Depressionen, Verhaltensauffälligkeiten, sogar Schizophrenie lägen dann nicht ausschliesslich in Traumata oder genetischer Disposition begründet, sondern könnten auch einer mikrobiologischen Invasion geschuldet sein. Das eröffnet uns jetzt aber nicht nur neue Quellen für Ängste, sondern auch neue Möglichkeiten der Behandlung und Genesung. Die Autorinnen bereiten diese auflebende Diskussion im Umfeld von Parasitologie, Evolutionsbiologie und Neurowissenschaften ebenso mitreissend wie anschaulich auf: Rudimentäre Kenntnisse der jeweiligen Fachterminologien genügen.
Neben der kompetenten Vermittlung eines aussichtsreichen Forschungsfeldes geben Monika Niehaus und Andrea Pfuhl auch der Einsicht Futter, dass wir Menschen keine bevorzugten Ausnahmeerscheinungen, sondern schlichte Mitstreiter in unserem ökologischen Umfeld sind. Das gefällt uns ja sowieso. Für etwas heikler halten wir es, wenn populärwissenschaftliche Werke zu wissenschaftlichen Diskursen offensiv Stellung beziehen. In diesem Fall geht es um die Streitfrage, ob der Bornavirus Depressionen begünstige. Die Autorinnen denken, die Entdeckerinnen dieses Zusammenhangs seien ungerecht vernachlässigt worden, und wir halten sie - kraft ihrer umfangreichen Recherchen - auch durchaus für ermächtigt, hier ihre Einschätzung einzuwerfen. Wir stellen nur fest, dass Laien, denen solcherart eine Abseitsposition einer wissenschaftlichen Streitfrage um die Ohren gehauen wird, sich schnell als "Eingeweihte" einer unterdrückten Wahrheit verstehen und in Opposition zur verdächtigen "etablierten Wissenschaft" wiederfinden… Derweil dies kaum in der Absicht der Autorinnen liegen dürfte, hätten wir uns ihre Stimmmeldung etwas zurückhaltender gewünscht. Da wir diesen uns durcheilenden Gedanken aber nicht zur Forderung erheben möchten, sei er hier nur als ein Rat zur Obacht eingefügt.
Wem empfehlen wir jetzt das Buch? Machen wir es mal anders: Wem empfehlen wir es nicht? Hypochondern. Alle anderen erwartet hier eine uneingeschränkt anregende, lehrreiche und spannende Lektüre mit dem Potential, dem Staunen über die lebendige Welt - und sich selbst darin - noch einmal eine neue Dimension hinzuzufügen.
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