Autor | Carl Safina |
Verlag | C.H. Beck |
Umfang | 525 Seiten |
ISBN | 978-3-406-70790-2 |
Preis | Fr. 33.70 (UVP) |
Unser Hirn ist, im Verhältnis zur Körpergrösse, unter allen Tieren das grösste, komplexeste und energieaufwändigste. Es ermächtigt uns zu einer Bandbreite von kognitiven Leistungen, die im Tierreich wohl einzigartig ist. Eine illustre Schar von Leuten ermächtigte es beispielsweise zum Gedanken, dass wir mutmasslich die einzigen Lebewesen sind, die überhaupt zu Gedanken, Erinnerungen, Assoziationen, Sprache, Gefühlen, zum Schlüsseziehen, Geschichtenerfinden, Musizieren, Rechenaufgabenlösen imstande sind. Das war dann doch eher Wunschdenken.
Der Naturschriftsteller und Meeresbiologe Carl Safina richtet sein langes und gründliches Nachsinnen über die Erkenntnis- und Bewusstseinsleistungen von Tieren rund um die überschaubare Zahl von drei Arten ein: Elefant, Wolf und Orca. Oder vier, wenn wir die Menschen dazuzählen, die sich da ebenfalls tummeln. Das sind zwar noch längst nicht alle Tiere, denen wir in seinem Buch begegnen, aber es sind die Hauptdarsteller. Um einen gültigen Einblick in ihren Alltag, ihre Mühen und Narreteien zu erhalten, verbündet er sich mit Forscherinnen, die sie seit Jahrzehnten dabei beobachten. Er lässt sich ihre Geschichten erzählen, ihre Charaktere deuten, ihre Beziehungen und Verhältnisse auseinandersetzen und begibt sich selbst auf Tuchfühlung, die beherrschende Frage im Kopf: Was können wir vom Fühlen, Denken und Plaudern dieser Tiere wissen, was erahnen?
Er ist sich dabei all der Gefahren bewusst, die in dem Begriff der Anthropomorphisierung ihren Unterschlupf gefunden haben, und er nimmt sie ernst. Um sie uns warnend kenntlich zu machen, berichtet er von ihnen: Von den Fehldeutungen, den Mystifizierungen, den Überinterpretationen des tierischen Verhaltens und dem menschlichen Bedürfnis, sich gespiegelt zu sehen. Genauso hütet er sich aber vor dem Anthropozentrismus, der uns zum Mass aller Dinge erheben möchte. Was er uns, eingespannt zwischen diesen beiden Polen, vom erklärbaren und (noch) unerklärlichen, verblüffenden und bewegenden Leben und Kommunizieren der Elefanten in ihren Familien, Wölfen in ihrem Rudel und Orcas in ihren Schulen sowie im Umgang mit uns Menschen zu berichten hat, übertrifft noch einmal alles, was uns in den – in letzter Zeit zahlreich erschienenen - Büchern zum Themenkreis nahegebracht wurde. Das ist schon einmal eine grosse Freude. Es ist nicht die grösste.
Irgendwann während der Lektüre - wahrscheinlich früh - wird die Leserin ein eigentümliches Gefühl verspüren; angesiedelt irgendwo zwischen Erleichterung und Trauer. Die Trauer entspriesst jener zivilisierten Ahnung eines Verlustes des "Ursprünglichen", gespiegelt im verbreiteten Sehnen nach Natur. Die Erleichterung andererseits speist sich aus der unvermutet erblühenden Zuversicht, damit in keiner Sackgasse gelandet zu sein. Dieser Empfindung werden wir wieder und wieder begegnen, und wir ernennen sie hier - soweit man bei einem Gefühl davon reden kann - zur entscheidenden Botschaft Carl Safinas. Er weist uns damit in Richtung eines Ausgangs aus der selbstverschuldeten Einsamkeit, die uns nach Intelligenz auf entfernten Planeten fahnden lässt, während unser eigener vor Verwandten überquillt. Das Gefühl deutet an, dass wir mit diesen wilden Nachbarn und Mitbewohnern - nein: nicht reden, aber uns möglicherweise austauschen, sinnstiftend zusammenleben können. Er fügt so den rationalen Dimensionen des reich vermittelten Wissens und der abwägenden Vernunft eine emotionale an, die sich festsetzt und fortwirkt…
Wenn wir jetzt unsere Begeisterung kurz herunterkühlen, können wir kritisch einwerfen, dass der Autor im Verlauf seiner kurzweiligen Erzählungen die Tendenz entwickelt, im Zweifel für den Angeklagten zu stimmen. Ebenfalls darf man ihm unterstellen, seine drei Tierarten mit listigem Bedacht ausgewählt zu haben; als jene sozialen, kooperativen Tiere nämlich, die unserer menschlichen Erfahrung näher sind als etwa Adler, Marienkäfer oder Kopffüsser. Das muss eine realistische, allgemeine Gegenüberstellung der Intelligenzleistungen verfremden – soweit eine solche überhaupt sinnvoll ist. Denn wie lautet die letzte Lektion seines Buches: Denken Tiere wie wir? Nein. Sie denken wie sie. Und wir wiederum denken, dass dieses Buch gut und gern die Entdeckung des Jahres sein könnte.
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