Buch «Kampf um Gaia»

Buch «Kampf um Gaia»

Acht Vorträge über das neue Klimaregime

Die Gaia-Hypothese von James Lovelock ist umstritten. Davon nicht nur unbeeindruckt, sondern nachgerade beflügelt verteidigt sie Bruno Latour in seinem neuen Buch und befestigt ihre Bedeutung für eine nachhaltig wirksame Klimapolitik.

Autor Bruno Latour
Verlag Suhrkamp
Umfang 522 Seiten
ISBN 978-3-518-58701-0
Preis Fr. 42.90 (UVP)

 

Es geht um Vieles in dem neuen Buch des französischen Wissenschaftssoziologen Bruno Latour, und vieles davon zeigt sich als nur ungenügend in herkömmliche Begriffe und Weltbilder zu fassen. Deshalb geht es ihm in seinen acht Vorträgen erst einmal darum, eine ganze Anzahl dieser Begriffe zu durchleuchten, aus- und umzudeuten, zu kritisieren und in ihrer Tauglichkeit zu einem Neuen (nämlich wirkkräftigen) Klimaregime zu bewerten: Die Natur, das Anthropozän, den Globus und damit das Globale und Globalisierte, um nur die Wichtigsten zu nennen. Doch damit ist er dann noch längst nicht am Ende dessen angelangt, was er uns zum genaueren Bedenken zu geben hat...

Im Grunde handelt es sich bei den ursprünglich sechs in Edinburgh gehaltenen, für dieses Buch erweiterten und überarbeiteten Vorträgen um eine leidenschaftliche Verteidigung der Gaia-Hypothese des James Lovelock. Womit Bruno Latour uns Rezensenten schon gleich einmal zur Schützenhilfe herausfordert. Denn obwohl diese Anschauung, die uns unseren Planeten als etwas insgesamt Lebendiges vorstellt, in den letzten Jahren wieder einige Achtungspunkte gewonnen hat, gilt sie den meisten Öko-, Bio- und Geologen doch insgesamt als zu unscharf, deutungsoffen oder gar metaphysisch, um sich ernsthaft auf sie einlassen zu wollen. All diese - und darunter durchaus auch wir selbst - belehrt der Autor nun schlüssig, inwiefern die Gaia-Hypothese das genaue Gegenteil einer mystischen Öko-Schwärmerei sei - sondern uns endlich zu einem wahrhaft profanen, tauglichen und sorgsamen Umgang mit unserer Welt (und uns selbst darin) ermächtigen könnte.

Er führt uns dahingehend etwa vor, wie auch die rationalen Wissenschaften, üblicherweise in Gegenposition zur religiösen Eindeutigkeit verortet, grundlegend von den religiösen Welt- und Wertordnungen infiziert sind - und darum folgerichtig stets in die Falle tappen, Lovelocks "Gaia" als eine übergeordnete, zielbewusste Entität fehlzuinterpretieren. Er leitet uns im Zuge dessen auch gleich dahin, die ökologischen Krisen unserer Tage weniger von ihrem wirtschaftlichen als von ihrem religiösen Fundament her zu begreifen. Um jetzt aber die altertümlichen Hierarchievorstellungen aufzulösen und zu einer realistischen Einschätzung unserer menschlichen Beziehung zu den irdischen Ökosystemen zu gelangen (und so die ob unserer Ver-Antwortung geforderten Antworten zu finden), stellt der Gaia-Gedanke, wie ihn uns Bruno Latour nahebringt, tatsächlich ein vielversprechendes Modell dar.

Man könnte nun diese bravouröse Verteidigung einer strittigen Hypothese als eine rein akademische Obliegenheit abtun, versetzte Bruno Latour sie nicht in den Kontext aktueller, entscheidender Fragen. Jener beispielsweise, wie die menschliche Tatkraft, die sich doch beispielsweise angesichts Terrorismus zu sofortiger Reaktion genötigt sieht, in gleichem Masse auch zur Aktion gegen den Klimawandel aufrütteln liesse. Oder jener, wie eine Geo- und Klimapolitik zu organisieren wäre, die neben den menschlichen Territorien und Anliegen auch jene der Atmosphäre, der Böden, der Ozeane oder der nichtmenschlichen biologischen Arten in den Fokus ihrer Verpflichtungen stellt. Seine Gedanken und Ideen dazu sind so verblüffend wie inspirierend.

Bei alledem beweist sich Bruno Latour als ebenso furchtloser wie rhetorisch glänzender und leidenschaftlicher Redner. Ja, doch: Redner, denn tatsächlich überträgt sich die gewählte Vortragsform seiner Texte als eine persönliche Ansprache auf die Leserschaft. Leider bedeutet das nicht, dass die ihm dadurch umso leichter folgen könnte. Das flüssige Verständnis seines Buches verlangt eine gediegene Vertrautheit mit den Jargons und Erkenntnissen verschiedener Natur- und Kulturwissenschaften ebenso wie mit europäischer Kunstgeschichte und Mythologie oder auch des zeitgenössischen Film-, Literatur- und Comicschaffens. So sehr er damit unseren persönlichen Steckenpferden auch in die Hände spielt, zögern wir angesichts dieser Anforderungen, eine erstrangige Empfehlung auszusprechen. Item: Wer sich auf eine Herausforderung einstellt und sich dann von transdisziplinärer Sprunghaftigkeit ebenso wenig irritieren lässt wie von gelegentlichem begeisterungssatten Palaver... Die und den erwartet hier ein höchst anregendes, bemerkenswertes Buch. Eines jener seltenen Bücher, die dazu angetan sind, unser Gedankengut und Selbstverständnis dauerhaft und nutzbringend umzugestalten.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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