Autor | Thomas D. Seeley |
Verlag | S. Fischer |
Umfang | 210 Seiten |
ISBN | 978-3-10-397239-9 |
Preis | Fr. 31.90 (UVP) |
Einem im Buchtitel angelegten Missverständnis sei gleich vorgebeugt: Wenn Thomas D. Seeley von "wilden Bienen" spricht, so meint er damit keine Wildbienen. Er meint jene wildnistenden Honigbienen, Apis mellifica, deren Erforschung er sein Leben und sein vielfach ausgezeichnetes verhaltens- und neurobiologisches Schaffen gewidmet hat. Seine Forschungen und Erkenntnisse brachten ihm nicht nur seinen Ruf als international renommiertem Experten in den Fragen nach der Biologie und dem gesellschaftlichen Leben der kleinen fleissigen Nektarsäufer ein. Sie inspirierten ihn auch zur Abfassung mehrerer populärwissenschaftlicher Bücher, von denen das letzte, "Bienendemokratie", beispielsweise von der Wohnungssuche wilder Bienenschwärme bzw. davon handelte, in welch verblüffender Weise diese gemeinschaftlich entscheiden, welche Öffnung im Baumstamm oder welches Loch im Mauerwerk ihrem Überleben am dienlichsten entgegenkommt.
Um nun solche Forschungen aber überhaupt anstellen zu können, musste Thomas D. Seeley die verborgenen Wohnstätten seiner wilden Bienen erst einmal finden. Einer Biene einfach hinterhersprinten ist nicht: Er musste sich also in der alten Kunst der Bienenjagd kundig machen. Die spärlich aufzufindenden historischen Erfahrungsberichte und Anleitungen ergänzte er während seiner Bienenjagden in Wald und Feld mit seiner Neigung zu wissenschaftlicher Präzision und seiner geduldigen Begeisterungsfähigkeit. Sein neues Buch ist dementsprechend erst einmal eine akribische Anleitung zur Auffindung der Behausungen wilder Bienenschwärme, der Herstellung der hierzu erforderlichen Werkzeuge - wie etwa der unverzichtbaren Bienenbox - und jener rechnerischen Grundlagen, die das abzusuchende Gebiet einzuschränken helfen. Erst einmal. Daneben ist es unterhaltsamer Abenteuerbericht, eine aufschlussreiche und spannende Einführung in die biologischen Fakten zur Honigbiene und der Bienengesellschaft sowie eine amüsante Sammlung naturverbundener Anekdoten.
Es mag nun durchaus sein, dass obige Beschreibung des Hauptzwecks des Buches gewisse tierschützerische oder vegane Empfindlichkeiten kitzelt. Dass es uns genau so erging, ist der Grund, weshalb von seiner Veröffentlichung bis zu dieser Besprechung schon so einige Wochen verstrichen sind. In einer Zeit, da nicht zuletzt auch Bedenken betreffs der Imkerei zur tierethischen Debatte stehen: Wollen wir da nicht wenigstens die verbleibenden wilden Honigbienenschwärme einfach mal in Ruhe lassen? Das fragten jedenfalls wir uns, nachdem wir die ersten paar dutzend Seiten von Thomas D. Seeleys Buch gelesen hatten; wir legten es vorerst zur Seite, ein anderes fing unsere Aufmerksamkeit... Als wir es dann vor elf Tagen wieder zur Hand nahmen, geschah dies also nicht im Glauben, dass es alsbald hier unter unseren Buchtipps ein Plätzchen finden würde. Aber hier ist es.
Thomas D. Seeleys Absicht ist es nicht, mit seinem Buch der Zeidlerei und damit der Plünderung und Vernichtung wilder Bienenstöcke zu einem neuen Aufschwung zu verhelfen. Höchst zerknirscht erzählt er davon, wie er genau dies im jungwissenschaftlichen Überschwang getan habe: Eine Verfehlung, die ihm in den folgenden Jahren der Forschung immer unbegreiflicher erschienen sein muss. Das lassen in jedem Fall sein Enthusiasmus und die herzliche Liebe zu seinem Forschungsgegenstand vermuten, die sich aus diesem Buch noch deutlicher vermitteln als aus seinem letzten. Er verfasst es zuvorderst als eine Orientierungshilfe zu einem aussergewöhnlichen, staunenswerten Naturerlebnis - und als Anstoss der informierten Wertschätzung und des Respekts vor dem faszinierenden Insekt und seinen Lebensgrundlagen. (In diesem Sinne schliesst er es dann mit einer Handreichung dazu, wie eventuelle missliebige Bienenschwärme schonend und artgerecht umgesiedelt werden können.) Wer sich davon also ein Handbuch zum räuberischen Erwerb kostenlosen Honigs oder zum historical reenactment eines ausgestorbenen Berufes verspricht: Nun, der oder die wird schon fündig werden. Sie werden zwar etwas ernüchtert darüber sein, welch geduldiger Anstrengung dies bedarf. Und die tatsächliche Umsetzung dieses Ansinnens wird ihnen, nach der Begegnung mit der leidenschaftlichen Hingabe des Autors, von Herzen schwer fallen. Damit aber enthebt uns das Buch auch aller Befangenheiten, es als eine wertvolle und lehrreiche Lektüre zu empfehlen: Den einen als eine Stärkung und Diversifizierung ihrer Naturverbundenheit und Achtsamkeit. Den andern als ein Kuckucksei im Nest.
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