Buch «Utopien für Realisten»

Buch «Utopien für Realisten»

Die Zeit ist reif für die 15-Stunden-Woche, offene Grenzen und das bedingungslose Grundeinkommen

Sie sind gewiss unbescheiden – manche würden vielleicht sagen; radikal –, die Utopien, mittels derer Rutger Bregman unsere Welt verändern will. Das sollen sie aber auch sein, wenn sie an althergebrachten, aber umso diskussionswürdigeren Weltbildern rütteln wollen. Und gerade das gelingt Rutger Bregman fabelhaft.

Autor Rutger Bregman
Verlag Rowohlt
Umfang 301 Seiten
ISBN 978-3-498-00682-2
Preis Fr. 23.80 (UVP)

 

Rutger Bregman gilt in seiner Heimat, den Niederlanden, als der "Mr. Bedingungsloses Grundeinkommen". Das darum, da der Vorgänger dieses seines neuen Buches dort die öffentliche Diskussion um jene "verrückte Idee" auslöste, die es hierzulande bereits zu einer Volksabstimmung brachte - und abgelehnt wurde, natürlich. Doch wer nun meint, damit sei das Thema abgehakt, der sei an die erste Abstimmung um das Frauenwahlrecht erinnert, die ebenfalls einen Schlussstrich unter ein undenkbares Vorhaben zog. Etwas mehr als zehn Jahre später galt dieses Vorhaben als eine moralische und politische Selbstverständlichkeit. Tatsächlich mehren sich ja bereits die Stimmen, die hinter vorgehaltener Hand murmeln, dass "das Grundeinkommen wohl sowieso kommen werde", und ebenso tatsächlich wurden bereits rund um die Welt ambitionierte Experimente mit dem Gratisverdienst gestartet. Ausserdem: Wer weiss, wie die Abstimmung ausgegangen wäre, hätten wir einen Autor wie Rutger Bregman gehabt?

Die zwei Substantive im Titel seines neuen Buches scheinen sich erstmal zu widersprechen. Utopien gelten üblicherweise nicht als realistisch - das macht sie als Utopien nach allgemeinem Verständnis ja gerade aus -, und jene Leute, die sich gerne als Realisten bezeichnen, machen mit Vorbedacht einen weiten Bogen um sie. Umso mehr in einem kulturellen Klima, in dem sich gerade das Gegenteil der Utopie, die Dystopie, als ein geläufiger Begriff auch in weniger gebildeten Bregen verankert. Ein wichtiges Anliegen ist es Rutger Bregman deshalb, die Realitäten und die Utopien... nein, nicht zu versöhnen, sondern einander zugänglich zu machen. Er zeichnet uns ein übersichtliches Bild davon, wie es Ideale, Hoffnungen und Visionen - in ihrer Addition Utopie genannt - immer wieder schafften, die reale Welt zu verändern. Beispiele? Sklaverei. Das Frauenwahlrecht, wie gesagt. Liberalismus und Neoliberalismus. (Upps!?) Doch hauptsächlich dient ihm sein Buch selbstverständlich dazu, mit einigen Visionen ebenso vergnügt wie sachkompetent gegen althergebrachte Weltbilder anzurennen. Diese Visionen sind, neben dem erwähnten Grundeinkommen, die 15-Stunden-Arbeitswoche und die Öffnung aller Grenzen.

Der Mut ist ihm damit schon mal nicht mehr abzusprechen. Während dem Bedingungslosen Grundeinkommen bereits der ein oder andere Lorbeer zugefallen ist, wendet er sich mit der 15-Stunden-Woche gegen Wertvorstellungen, die noch weitgehend unerschüttert stehen: Fleiss, Arbeitsmoral und die dräuende Sündhaftigkeit von Mussestunden. Mit seinem Ruf nach offenen Grenzen schwimmt er dann endgültig gegen den Strom des Zeitgeists. Aber hinsichtlich eines Arbeitsmarkts, auf dem sich bereits so viele in einem sinnentleerten Bullshitjob beschäftigen, um damit ihre persönlich erfüllenden und gesellschaftlich wertstiftenden "Nebenbeschäftigungen" zu finanzieren... sollte da nicht über diese Werte und Weltbilder mal gründlich und aufrichtig nachgedacht werden? Rutger Bregman hat hierfür fundierte Argumente und überzeugende Gedankengänge ebenso bei Fuss wie seine bereichernde, sachliche Ehrlichkeit.

Rutger Bregman betreibt bei alledem keine flache Kapitalismuskritik. Im Gegensatz zu so vielen, die sich gerade an Entwürfen eines Postkapitalismus oder der moralischen Verdammung des notorischen Einen Prozents abarbeiten, weiss er, dass die Menschheit in vorindustriellen, vorkapitalistischen Zeiten nicht glücklicher war. Er meint aber, dass wir angesichts der anstehenden gesellschaftlichen und ökologischen Probleme dringend aufgefordert sind, erneut die Segel zu setzen. Da räumen wir dann auch gerne ein, dass er uns in der Verteidigung einiger seiner Ideen noch nicht abschliessend überzeugt. Dafür sind uns seine Argumente verschiedentlich noch zu einseitig und in zu breitem Schwung hingeworfen. Doch um einen Abschluss der Diskussion geht es ihm nicht, sondern um ihre Eröffnung, und die Angriffspunkte, die er hierfür wählt, sind ebenso lohnend und verheissungsvoll wie die Veränderungen, die er anzielt. Da dann weiterhin auch wir wissen, dass eine ökologische Gesundung ohne eine globalgesellschaftliche Veränderung kaum möglich sein wird, applaudieren wir seinem belebenden und energischen Vorstoss von Herzen und eilen ihm eifrig zur Seite. Unstimmigkeiten im ein oder anderen Detail klären wir auf dem Weg.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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