Autor | James Cheshire / Oliver Uberti |
Verlag | Hanser |
Umfang | 173 Seiten |
ISBN | 978-3-446-25665-1 |
Preis | Fr. 44.90 (UVP) |
Dass Tiere wandern, ist der Menschheit seit ihren Kindertagen bestens bekannt. Immerhin verbrachten wir Jahrzehntausende damit, ihnen hinterherzulaufen. Wohin Tiere wandern, blieb dann aber oft ein Mysterium. Dass also die Praxis von Fernsehdetektiven, den Autos von Verdächtigen Sender unterzuschieben, schnell einmal Zoologen auf die Idee brachte, von der mühseligen Fährtenleserei abzulassen und dasselbe mit ihren Forschungsobjekten anzustellen... Gut, anfangs führte sie diese Unternehmung manchmal auf falsche Fährten, wie uns der Geograf James Cheshire und der Designer Oliver Uberti eingangs ihres Buches am Beispiel der Dachse vorführen. Da schienen zur Verwunderung der Forscher die sporadischen Sendesignale darauf hinzudeuten, dass diese nur zwei Räume ihrer ausgedehnten Bauten tatsächlich bewohnen. Mit der Erhöhung der Signalerfassungsrate zeigt sich indessen, dass sie durchaus eifrig durch die Wohnung wuseln - und an jenen zwei Räumen nur am häufigsten vorbeikommen. Technologische Entwicklung und mehr Messungen bedeuten also mehr und zuverlässigere Daten, mehr Daten führen zu detaillierteren und aussagekräftigeren Karten, und 50 dieser Karten bedeuten ein wundervolles Buch.
Darin geht es dann natürlich nicht nur um Dachse. Woran denken wir, wenn wir von Tierwanderungen hören? Richtig, an Vögel. Oder Wale. Wer gerade eine Dokumentation über das afrikanische Wildlife gesehen hat: Gnus. Und tatsächlich handeln auch so einige der für das Buch akribisch und anschaulich in Kartenmaterial übersetzten Datensätze von genau solchen Grosstieren, und dies keineswegs nur im Sinne von Spuren auf Landkarten. Ebenso illustriert es uns die Kreise von Gänsegeiern im Aufwind. Die Tauchtiefen von See-Elefanten. Oder wie sehr die Angst vor Haien die Bewegungen von Meeresschildkröten beeinflusst: Kaum. Doch damit ist die Neugier von Zoologinnen längst nicht befriedigt, und deshalb fanden sie Wege, auch kleinere Tiere zu tracken - Hummeln, Ameisen, Wasserflöhe. Oder weithin unsichtbare, wie etwa Jaguare oder Orang-Utans unter dem dichten Blätterdach. Das Buch führt uns dann weiterhin zu neuen Erkenntnissen, wie in Gruppen wandernde Tiere sich entscheiden, wohin die Reise gehen soll, oder auch, wie sich als gefährlich erachtete und deshalb umgesiedelte Krokodile verhalten. Sie kehren schnurstracks wieder heim.
Es sind nicht zuletzt diese amüsanten, absonderlichen und berührenden Geschichten, die das Buch zu einem bemerkenswert fesselnden machen. Wir folgen ja nicht nur Peilsignalen auf Karten, sondern nehmen dabei an den Lebensgeschichten einzelner Tiere teil: Am Leben und tragischen Tod der Elefantenkuh Kulling beispielsweise, oder an der abenteuerlichen Wanderung des Wolfes Slavc auf der Suche nach einer Liebsten. Dass die Autoren uns neben all den vermittelten Informationen zu Trackingmethoden, Verhaltensforschung und Forschungsergebnissen auch mit solchen Geschichten versorgen, spricht ebenso für sie wie die schiere Faszination und Attraktion der von ihnen erstellten Karten. Für unser ausdrückliches Lob entscheidend sind dann aber die ungezählten Beispiele und Erkenntnisse dazu, wie sich die mittels Tier-Tracking erhobenen Daten für die Anliegen des Artenschutzes, der Biodiversität und der Ökologie nutzbar machen. Das Wissen darum, wie sich Strassen oder Zäune auf die Nahrungs- und Partnersuche von Wildtieren auswirken, macht da schnell den Unterschied zwischen einem wohlmeinenden und einem wirksamen Tierschutz aus. Oder die Kenntnis um bevorzugte und alternative Lebensräume den Erfolg von Wiederansiedelungen, oder die Analyse von Aufenthaltsdauern die Einrichtung von Schutzgebieten... usw, usf.
Dass uns diese Sachverhalte im Falle dieses Buches nicht von Zoologen, sondern eben von einem Geografen und einem Grafiker präsentiert werden, tut ihrem Wert denn auch keinen Abbruch. Tatsächlich spiegelt es nur wieder, wie sich in transdisziplinärer Kooperation neue, entscheidende und nicht selten überraschende Einsichten gewinnen lassen. Ihr so aufwändig und sorgfältig erarbeitetes Werk ist ein anspornendes Beispiel und mustergültiges Zeugnis solcher Zusammenarbeit ebenso, wie es ausnehmend spannend ist. Spannend? Ein Buch nur mit Karten und Erläuterung dieser Karten? Tja. Versuchen Sie es: Steuern sie eine Buchhandlung an, dort dann die Abteilung Naturbücher und schlagen sie das Buch irgendwo auf. Erledigen Sie einfach mit Vorteil alles, was Sie sich sonst noch so an Erledigungen vorgenommen haben, schon zuvor...
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