Autor | Helen und Scott Nearing |
Verlag | pala-verlag |
Umfang | 177 Seiten |
ISBN | 978-3-89566-207-2 |
Preis | Fr. 27.50 (UVP) |
Als Helen und Scott Nearing sich damals aufmachten, nach dem Guten Leben zu suchen, war das wahrlich kein Akt adoleszenten Aufstands. Der Soziologe und Wirtschaftsprofessor Scott Nearing näherte sich den fünfzig, als er sich selbst und seine zwanzig Jahre jüngere Partnerin Helen jählings an allen Fronten ausgegrenzt fand. Schon einmal, zu Beginn des Ersten Weltkriegs, war sein lautstarkes Bekenntnis zum Pazifismus seiner Karriere zum Stolperstein geworden, und jetzt, auf dem Höhepunkt der Grossen Depression 1932, standen auch sein Kollektivismus und Vegetarismus dem Zeitgeist soweit entgegen, dass er an der Lehrtätigkeit aktiv gehindert wurde. Das Paar zog in ein Tal in Vermont, kaufte eine heruntergekommene Farm und bewirtschaftete diese zwanzig Jahre lang in Selbstversorgung. Als sich ihr Wohnort schliesslich in ein Skigebiet verwandelte, zogen sie eine Ecke weiter an die Küste von Maine und starteten dasselbe Unternehmen noch einmal neu.
Das Buch, das wir hier vor uns haben, schrieben Helen und Scott Nearing vor jenem Umzug nach Maine. Es gibt selbstkritischen Bericht über ihre Praxis und Philosophie des Guten Lebens in Vermont, über Schwierigkeiten und Erfolge, ihre Erfahrungen mit einer auf Ahornsirup basierten Tauschwirtschaft, ihre biologische, saisonale Ernährung und ökologische Landwirtschaft. Im Kern ihres Lebensentwurfs steht ihre Ablehnung der als ausbeuterisch erkannten Konkurrenzwirtschaft. Das erweitern sie um ihr klares Bewusstsein um die Notwendigkeit einer bodenschonenden Landwirtschaft und um die eigene, verantwortungsvolle Einbindung in die Natur. Dies alles verblüfft nicht nur durch seine Weitsicht und planvolle Gründlichkeit. Es überträgt sich kraftvoll ins Jetzt.
Erzählt wird uns davon in einer nüchternen, zum Wesentlichen strebenden Sprache. Das mag unsere heutigen, dem lockeren Plauderton zugeneigten Lesegewohnheiten kurz irritieren. Wir stellten jedoch überrascht fest, wie sehr uns diese konzentrierte Anrede zu bannen vermochte, zumal sie nirgends anstrengend oder gar belehrend wird. Da können uns die Autorinnen den Bau eines Steinhauses haarklein auseinandersetzen oder ihre Methoden der Kompostierung minuziös argumentieren: Stets greifen sie dabei hinaus in grössere, belangreiche Zusammenhänge.
Natürlich waren manche der Herausforderungen, die sich uns jetzt nach sechs weiteren Jahrzehnten des Raubbaus stellen, den Nearings noch fremd. Der Klimawandel, selbstredend, oder der Umbau der nationalen zu einer globalisierten Konsumwirtschaft. Auch einige Details ihrer Ernährungsphilosophie und ihrer anthropologischen Betrachtungen müssten sich indessen einem neueren Kenntnisstand beugen. Doch diese vom Leser zu bewältigenden Aktualisierungen beeinträchtigen die Inspirationskraft und Zweckmässigkeit ihres Lebensentwurfs nicht. Wenn schon, dann beweisen sie dessen erhöhte Relevanz.
Uns jedenfalls ist jetzt erst einmal klar, was das famose Programmkonzept des pala-verlags inspirierte. Tatsächlich war dieses Buch, das hier jetzt in neuer Auflage erscheint, das erste, das der Verlag damals auflegte, und dessen Themen blieben konzeptionell genauso bestimmend wie seine sachliche, unprätentiöse und doch leidenschaftliche Argumentationsweise. Doch auch ganz abgesehen davon finden wir hier ein Buch, das sich in seinem aufrichtigen, ergreifenden Engagement zu entdecken, wiederzuentdecken unbedingt lohnt: Als einen Pionier der Ökobewegung, als einen Vorreiter der veganen Lebensweise und ganz allgemein als eine profunde Inspirationsquelle für jenen nachhaltigen Lebensstil, nach dem gerade wieder verstärkt gefahndet wird. Damals, dort drüben, in Vermont und in Maine, lebten zwei beeindruckende Menschen, die uns dazu wesentliches zu sagen haben.
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