Autor | Martin Gorke |
Verlag | Hirzel |
Umfang | 251 Seiten |
ISBN | 978-3-7776-2681-9 |
Preis | Fr. 53.80 (UVP) |
Dass bezüglich der Zielsetzungen des Umwelt- bzw. Naturschutzes einiges an Diskussionsbedarf besteht, wird mit dem Anwachsen der Problemstellungen immer offensichtlicher. Denn was an ihr wollen wir vordringlich schützen? Und warum? Schützen wir, in klassisch anthropozentrischer Manier, was uns daran nützt: Die Bodenfruchtbarkeit beispielsweise, weil sie uns ernährt? Schonen wir (pathozentrisch), was wie wir des Leidens fähig ist? Oder legen wir den Fokus auf die gesamten Ökosysteme, auch mal bevorzugt vor dem Schicksal eines seiner Bestandteile? Wir könnten auch gleich in die Vollen gehen und dem holistischen Gesamten der Natur einen moralisch relevanten Eigenwert zusprechen: Nutz- und Wildtieren, Bäumen und Wäldern, Käfern, Skorpionen, Mikroorganismen, Ozeanen. Diese verschiedenen Blickwinkel gehen nun keineswegs immer harmonisch zusammen, Zielkonflikte zeichnen sich ab. Sogar nah verwandte Disziplinen wie Biodiversitäts- und Artenschutz bleiben davon nicht verschont: Pflanzen wir dem putzigen Koala einen hübschen, artenarmen Eukalyptushain? Die Umweltethik ist berufen, darauf eine Antwort zu finden.
Der Holismus, den der Umweltethiker Martin Gorke in seinem Buch vorstellt und verteidigt, ist der - wie oben gesehen - bei weitem ambitionierteste umweltethische Ansatz. Der Autor erleichtert es sich nicht, indem er die teilweise fliessenden Grenzen zwischen Leben und Unbelebtem anerkennt und auch letzteres in seine Überlegungen einbezieht: Landschaft, Geophysik, sogar künstliche Artefakte. Um diese radikale Position zu begründen, arbeitet er im ersten Teil seiner Abhandlung ihre Vorteile vor den bio-, patho- bzw. anthropozentrischen Anschauungen detailliert heraus. Er zeigt sich dabei als ein mit seinen Vordenkern umfassend vertrauter, scharfsinniger Analytiker. Sein naturwissenschaftlicher Hintergrund gibt ihm zudem die biologischen und ökologischen Fakten zur Hand, die so manchen vorgängigen Versuch einer Umweltethik als mehr von Weltbildern als von Realitäten getragenes Denkgebäude erkennbar machen. Grossen Wert legt er ausserdem auf die Beweisführung, dass eine nicht-anthropozentrische Ethik überhaupt möglich und praktikabel ist.
Doch jetzt mal blöd gefragt: Dürfen wir, im Griff einer Moral, die nahezu allem einen Eigenwert zugesteht, denn noch vor die Tür? Über eine Wiese latschen? Die Wespe vom Butterbrot scheuchen? Um die Konsequenzen der holistischen Wertzuschreibung geht es Martin Gorke deshalb im zweiten Teil des Buches. Erst einmal kann er da ein Stück weit Entwarnung geben: Die holistische Anschauung des Menschen als ein abhängiges, integriertes Bestandteil seiner Umwelt auferlegt diesem zwar Pflichten und Verantwortung, aber auch Rechte. Wir müssen also die Hände nicht duldsam in den Schoss legen, wenn der Tiger angreift. Zudem erarbeitet er hier dann die praktischen Abwägungskriterien, in welchem Umfang und unter welchen Voraussetzungen wir in unsere Umwelt eingreifen dürfen und sollen. Sein von traditionellen Hierarchisierungen Abstand nehmendes Modell zeigt sich als eine zwar unbestritten anspruchsvolle, aber durchaus handhabbare Handlungsvorlage.
Die Arbeit, die sich Martin Gorke machte, um dieserart unseren Aufbruch aus den chauvinistisch anthropozentrischen Natur- und Selbstbildern voranzutreiben, ist nicht hoch genug zu schätzen. Umso mehr, da er dabei nicht in der Verteidigung des Holismus verbleibt, sondern unseren Blick auch gleich kritisch auf so viele seiner heiklen Detailbelange lenkt und diese regsam ausdiskutiert. Die Zweifel, die uns bleiben, beruhen deshalb weniger auf seiner überzeugenden theoretischen Leistung als auf ihrer praktischen Anwendung. So scheint uns das Jonglieren seiner fünfzehn Abwägungskriterien in der Besprechung einer Schutzmassnahme doch eine reichlich aufwändige Angelegenheit. Und grundsätzlich fragen wir uns, ob Martin Gorkes holistische Moralansprüche unserer Gesellschaft, die sich doch gerade erst mit einigen pathozentrischen Implikationen etwa der Massentierhaltung auseinanderzusetzen wagt, nicht zu weit vorgreifen. Oder wäre hier ein grosser Sprung gerade wünschenswert, um sich nicht in den kleinen Schrittchen zu verirren? Wir wissen es nicht. Was wir stattdessen wissen, ist, dass sein Buch ein intellektuell anforderungsreicher Happen ist. Als eine bequeme Einführung in die umweltethische Debatte können wir es demnach nicht empfehlen, so sehr es sich dem inhaltlich auch gewachsen zeigte. Natur- und Umweltschutzpraktikern und allen an der Inkraftsetzung von Tier- und Umweltrechten Interessierten wollen wir sein Studium indessen dringend ans Herz legen.
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