Buch «Die grüne Lüge»

Buch «Die grüne Lüge»

Weltrettung als profitables Geschäftsmodell

Sustainability sells… Kathrin Hartmanns Buch führt uns tief hinein ins Dickicht der „grünen“ Lügen, die uns Industrie und Konzerne auftischen, um ihre Produkte unserem Ruf nach Nachhaltigkeit anzugleichen.

 Autor Kathrin Hartmann
 Verlag Blessing
 Umfang 239 Seiten
 ISBN 978-3-89667-609-2
 Preis Fr. 21.50 (UVP)

 

Wir haben jetzt ein Weilchen darüber nachgedacht und kamen zum Schluss: Doch! Auch wenn uns dieses Buch, entstanden anlässlich der Dreharbeiten zum Film The Green Lie von Werner Boote, zwiespältige Gefühle hinterliess, möchten wir es hier unter unseren Empfehlungen umweltrelevanter Neuerscheinungen keinesfalls missen. Zumal dieser Zwiespalt das grundlegende Anliegen seiner Autorin, der ebenso versierten wie engagierten Journalistin Kathrin Hartmann, ja auch kaum behelligt.

Greenwashing ist dieses Thema des Buches; also die hinlänglich bekannte, aber selten detailliert reflektierte Praxis der Industrien und Handelskonzerne, sich und ihre Produkte als ökologisch nachhaltiger und sozial verantwortungsvoller darzustellen, als sie es sich verdienen. Diesen Marketingstrategien entspriessen dann beispielsweise die aktionistischen Recyclingversprechen eines bekannten Kapselkaffee-Anbieters, die bestens davon ablenken, dass vielleicht das gesamte Konzept ökologischer Quatsch ist. Sie schaffen Wunder wie jenes "nachhaltige Palmöl", von dem - wie uns die Autorin mittels intensiver Recherche und persönlicher Anschauung vorführt - weit und breit keine realen Umsetzungen zu erspähen sind. Oder sie kreieren Mode aus "Ozeanplastik", die dann - versehen mit markigen Ökosprüchen - ihren Teil zum bemerkenswerten Textilien-Überschuss der Fast Fashion beiträgt.

So dankbar wir Kathrin Hartmann bereits sind, hier die dem Konsumenten meist schwer durchschaubare Augenwischerei klar von den Fakten zu scheiden und die Strategien erkennbar zu machen: Das Problem reicht tiefer. Sie führt das etwa an einem Beispiel vor, das uns persönlich schmerzt: Dem Cradle-to-Cradle-Prinzip von Braungart und McDonough. Als wir deren erstes Buch zu dem Produktionsverfahren lasen, das die verwendeten Rohstoffe nicht verbrauchen, sondern in wertige Nachfolgeprodukte umgestalten will, waren wir begeistert. Ein gutes Stück mehr als zehn Jahre muss das jetzt her sein. Seither warten wir auf die prächtigen Innovationen, die der Bewegung entspringen, und siehe da: Ein Getränkeflaschen-Deckel, der (potentiell) einen Baum wachsen lässt. Ein essbarer Flugzeugsitzbezug - weil das Problem mit Flugzeugen darin besteht, nicht zwischendurch herzhaft in die Rückenlehne beissen zu können? USW, WTF. Tatsächlich drängt sich zunehmend der Verdacht auf, dass sich damit nur die bequeme Mär befestigt, technologischer Erfindungsreichtum könne jedes noch so grundlegende Problem überwinden und uns dabei unseren Konsumanspruch schmerzfrei erhalten. Die Autorin führt uns diese Mär als jene zwar nicht konzertierte, aber doch zielbewusste Propaganda vor, die sie ist.

Ihr Buch ist nun Propaganda gegen diese Propaganda. Das ist - als ein Mittel, die Werbeversprechen für einen aufklärerischen Moment zu übertönen - durchaus rechtens. Doch in ihrem resoluten Sturm durch die Konzerne und Institutionen schmeisst die Autorin manchmal etwas um, das so nicht umgeschmissen gehört. Dass der WWF etwa auf eine Gründungsgeschichte zurückschauen muss, die sich von kolonialistischem Gedankengut noch ungenügend abgrenzte, ist unbestreitbar. Ihr das aber vorzuhalten, als sässen die Gründungsmitglieder noch fest in ihren Sesseln, und ganz allgemein die Bestrebungen von Umweltorganisationen, sich mit Industrie und Handel an einen Tisch zu setzen, als implizit verdächtig darzustellen: Daraus spricht eine idealistische Verkürzung, die unsere umweltbildenden Instinkte anspringen lässt. Die mussten leider feststellen, dass der kompromisslose Sprung in den Idealzustand kaum jemals als zumutbar betrachtet wird – und dass die Macht der Veränderung halt eben doch auch eine Frage der Macht bleibt. Diesem idealistischen Furor ist dann wohl auch die bescheidene Auswahl an abschliessenden Vorschlägen zuzuschreiben, wie die gewillte Leserinnenschaft dem Klammergriff von Big Industry entkommen kann. Da finden sich unterstützenswerte Bewegungen wie das Buen Vivir oder die Solidarische Landwirtschaft. Allein: Vor dem breiten Frustrationspotential des Buches nehmen sich diese punktuellen Initiativen mager aus, und wir fürchten, Kathrin Hartmanns Ansprüche mögen so manche Wohlwollende dazu verleiten, das Kind mit dem Bade auszuschütten. So im Stile von: "Bringt doch eh alles nix."

Gewiss aber nicht die mit allen Badewassern gewaschene Leserschaft unserer kleinen Buchbesprechungen hier. Die erhält mit diesem Buch ein vorzüglich recherchiertes Aufklärungswerk darüber, was sie den Marktmächten an ihren Nachhaltigkeitsbeschwörungen glauben darf - und einen schonungslosen Spiegel vor die Nase gesetzt, was sie ihnen diesbezüglich allzu gerne glauben will. Beides ist hilfreich und relevant. Wir selbst jetzt, vor diesem Spiegel stehend, wollen prophezeien, dass wir von der Lektüre dieses Buches noch lange profitieren werden. Wir stellen unsere umweltpädagogischen Zuckungen deshalb kurz ein und konstatieren: Wichtiges Buch. Lesen!

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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