Autor | Jonathan Balcombe |
Verlag | mareverlag |
Umfang | 336 Seiten |
ISBN | 978-3-86648-283-8 |
Preis | Fr. 38.60 (UVP) |
Die Minderschätzung von Fischen hat Tradition. So ist Fisch, gewissen landläufigen Einschätzungen zufolge, kein Fleisch - und damit der Fisch irgendwie auch kein richtiges Tier. Tja. Sie sind aber auch kapriziöse Viecher, diese Fische. Verborgen unter der Oberfläche des nassen Elements, höchstens im Sprung kurz sichtbar, glotzen sie uns nur stumm und ausdruckslos an, wenn wir mal die Luft anhalten, um sie zu besuchen. Gastfreundschaft geht anders. Vielleicht ist es nicht zuletzt dieser Tatsache geschuldet, dass die spannenden Bücher über sie so selten sind. Aquarienratgeber und ichthyologische Fachliteratur, gewiss: Tausendfach. Aber eine dem Laien zugängliche, populäre Sachliteratur...
Wir freuten uns also seit seiner Ankündigung auf dieses Buch des amerikanischen Verhaltensbiologen mit namhafter Fischexpertise, Jonathan Balcombe. Das - Vorfreude - ist eine dem Rezensenten üblicherweise abzuratende Gemütsregung, erhöht sie doch die Erwartungen und damit die Gefahr einer selbst provozierten Enttäuschung. Doch diese Hürde nahm Jonathan Balcombe schon mal spielend, indem er unsere Vorfreude in schlichte, ehrliche Freude verwandelte. Sein Buch über Lebensgewohnheiten, Verhaltensformen, Gefühlsleben und Eigenarten der Myriaden Fische ist ein Füllhorn an verblüffenden Fakten und profunden Detailkenntnissen. Der Attraktion seiner Ausführungen kommt dann weiterhin entgegen, dass sie nicht nur von dieser wissenschaftlichen Hingabe, sondern ebenso sehr von Leidenschaft geleitet sind. Jonathan Balcombes fröhlicher Enthusiasmus macht das Sachbuch zur mitreissenden Lektüre. Einerseits. Und er stärkt dann andererseits zielsicher unsere emotionale Einfühlung in sein Anliegen.
Denn Jonathan Balcombe schrieb dieses Werk natürlich nicht nur, um unsere Vorräte an Fun Facts aufzufüllen - so gut ihm das auch gelingt. Während er uns von ihren Problemlösungsstrategien und ihrem Werkzeuggebrauch, der Kommunikation im Schwarm, ihren ausserordentlichen Sinnesleistungen, Kooperationsmethoden und den vergnüglichen Kuriosa ihres Sexuallebens berichtet, rückt er uns die Fische als - ja, eben - vollwertige Tiere ins Bewusstsein; vielfältig, regsam, kraftvoll, verspielt, anteilnehmend... leidensfähig. Es geht ihm darum, die quirlige Mannigfaltigkeit an Fischarten und -persönlichkeiten aus dem gedankenlosen Abgrund heraufzuholen, der sich beispielsweise in der inbrünstigen Behauptung manifestiert, dass Fische "den Haken im Maul gar nicht spüren". Er führt sie uns vor als empfindsame, lernende und entschlusskräftige Wesen, als Individuen gar. Da mag dann das ein oder andere seiner Argumente ihres Bewusstseins und ihrer Emotionalität den akademischen - philosophischen oder naturwissenschaftlichen - Ansprüchen daran noch nicht genügen. In ihrer Gesamtheit sind sie überwältigender Beleg dafür, dass auch Fischen die Würde und Rücksichtnahme zuzusprechen sind, die wir indessen einzelnen Landsäugern schon einzugestehen gewillt sind.
Das wird jetzt diesem oder jenem Fischer und/oder Fischgourmet nicht gelegen kommen. Noch weniger den Betreibern von Fischfangflotten oder Aquafarmen. Das ändert sich dann auch nicht im letzten Teil des Buches, in dem uns der engagierte Ichthyologe das Ausmass unserer Verfehlungen im Umgang mit dem maritimen Lebensraum prägnant vorführt. Er ändert dafür allerdings leicht seinen Tonfall, indem er von idealistischer Begeisterung nicht - wie vielleicht zu erwarten - in die Anklage hinüberwechselt, sondern in eine faktennüchterne Überschau. Es gelingt ihm dadurch, Verantwortung und ethisches Bewusstsein einzufordern, ohne selbstgerechter Entrüstung und Schuldzuweisung stattzugeben. Ein, wie uns die Erfahrung nahelegt, der Sache unbedingt dienliches Verfahren.
Es ist gewiss: Dieses, Jonathan Balcombes Glanzstück der populären Sachliteratur wird die Sicht seiner Leserinnenschaft auf die Fische tiefgreifend verändern. Fragten wir die Fische selbst nach ihrer Meinung dazu, erklärten sie möglicherweise: "Na ja, es ist ein Anfang." Dahingehend nämlich, statt Fischereiindustrie und Aquafarming nur unter den Problempunkten der Ressourcenausbeutung und der Gesundheitsbedenken zu verhandeln, ihre Diskussion den moralischen Fragestellungen von Massentierhaltung und organisierter Wilderei anzunähern. Wir hingegen, noch ganz gefangen im reinen Lesevergnügen, ergänzen sie dazu jetzt nur insofern, was für ein furioser Anfang das dann aber doch ist!
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