Autor | Jonathan B. Losos |
Verlag | Hanser |
Umfang | 380 Seiten |
ISBN | 978-3-446-25842-6 |
Preis | Fr. 35.90 (UVP) |
Das Publikum, das Jonathan B. Losos mit seinem Buch anzielt, lässt sich an Hand seines reichen Einsatzes popkultureller Referenzen eingrenzen. Das könnte leicht schiefgehen, sich als peinliche Anbiederung aufdrängen oder, schlimmer noch, in eine missverständliche Simplifizierung der Mechanismen von Wissenschaft und Evolution münden. Doch der amerikanische Evolutionsbiologe hat seine Veranschaulichungen aus Film und Fernsehen fest im Griff. So präsentiert sich sein populäres Sachbuch als eine unverschämt vergnügliche Lektüre, während es sich zugleich in der Erarbeitung seiner Thematik aller gebotenen Präzision befleissigt.
Und das ist sein Thema: Konvergente Evolution. Das ist jene Evolution, die bei nicht näher verwandten Lebewesen gleiche (oder doch sehr ähnliche) Morphologien und Verhaltensmuster hervorbringt. Ameisen und Termiten beispielsweise - erstere näher mit Wespen, letztere mit Kakerlaken verbandelt -, die nicht nur ein ähnliches Äusseres und Sozialleben, sondern auch die spezielle Eigenart der Pilzzucht teilen. Oder, etwas oberflächlicher, die stromlinienförmigen Körper eines Knorpelfisches und eines Säugetiers; Hai und Delfin. Lange Zeit galten diese Konvergenzen eher als die Ausnahmen in einer ansonsten blinden Evolution: Ähnliche Lösungen für ähnliche Problemstellungen, die sich im eingeschränkten Spektrum der Möglichkeiten einfach anboten. Das änderte sich schrittweise, als immer mehr von ihnen von fleissigen Forschern erspäht wurden. Ist die Evolution also vielleicht doch vorhersagbar?
Nun lässt sich diese Frage nicht so einfach beantworten. Evolution gilt allgemein als ein gemächlicher Prozess, und die Beobachtung von Veränderungen an einem Organismus zeigt sich als entsprechend zeitaufwändig - gelinde gesagt. Bis wiederum klar wurde: Manchmal verläuft Evolution nicht langsam. Manchmal geht's ratzfatz. Jonathan B. Losos ist Experimenteller Evolutionsforscher - eine Fachdisziplin, die vor kürzerem noch als verrückt verlacht worden wäre - und untersuchte als solcher Eidechsen auf den Bahamas. Diese Forschung ist dann auch ein erster, attraktiver Aufhänger seines Buches, doch es geht um mehr. Wir treffen darin deshalb zwar auf viele Eidechsen, aber ebenso auf Dinosaurier, Guppys und Stichlinge, Finken natürlich, Hefe und E. coli-Bakterien, das Schnabeltier, Ausserirdische und nicht zuletzt auf uns, die Menschen. Denn, im Licht dieser Allgegenwart von Konvergenz, sind wir Homo Sapiens vielleicht doch kein blosser Zufall? Ist da eine verborgene Triebkraft, hin zur zweibeinigen, apparatebedienenden, ihrer selbst bewussten Barista?
Um diese und viele weitere spannende Fragen kompetent und nachvollziehbar zu verhandeln, erzählt uns Jonathan B. Losos nicht nur von den Erkenntnissen der Experimentellen Evolutionsforschung, sondern auch von ihren Exponenten und Methoden. Ein Teil der Experimente, die er uns anschaulich darlegt - insbesondere jene an Mikroorganismen -, lassen sich im Labor tätigen. An den anderen, nicht zuletzt jenen seiner eigenen Forschung, verhandelt er die für die biologische Wissenschaft relevante Frage, inwiefern sich in der notorisch unordentlichen, freien Natur überhaupt aus Versuchen schlüssige Erkenntnisse gewinnen lassen. Unser spezifisch ökologisches Augenmerk heftet sich indessen stärker an seine Ausführungen dazu, wie sich im Zusammenhang mit Umweltbelastungen und Klimawandel aus der Erforschung konvergenter Merkmale Einsichten gewinnen lassen, wie diese Anpassungen Populationen beeinflussen und wie sie sich möglicherweise hilfreich unterstützen lassen. Das ist bedeutungsvoll ganz egal, wie optimistisch bzw. pessimistisch man die möglichen Wirkungen menschlicher Eingriffe in die Ökosysteme bewertet.
Aber ist sie nun vorhersagbar, die Evolution? Jonathan B. Losos hat darauf eine klare Antwort: Jein. Die gewonnenen Erkenntnisse laufen darauf hin, dass die Evolution zwar um einiges vorhersehbarer verläuft, als die klassische Lehrmeinung dies postulierte. Das heisst dann aber nicht, dass sie sich beispielsweise auf einem fremden Planeten ebenso abspielen müsste wie hier. Und es bedeutet ebenfalls nicht, dass sie deshalb als strikt deterministisch anzusehen wäre: Die Vorstellung, das Leben hätte sich zwangsläufig zu uns Menschen als seinem edlen Höhepunkt hin entwickelt, bleibt eitle Illusion. Das Bild, das Jonathan B. Losos uns von uns selbst vorstellt, ist das eines Glücksfalls, und an dieses Bild heftet er in Tonfall, Intention und geschriebenem Buchstaben die Hoffnung, wir mögen diesen Bescheid als Ansporn nehmen, dereinst auch unseren so unendlich faszinierenden irdischen Nachbarn als ein solcher zu erscheinen. Diese Begeisterung ob unserer grossen und winzigen, unscheinbaren und spektakulären Mitbewohner auf dem blauen Himmelsball steigert er stetig, Abschnitt für Abschnitt, Kapitel für Kapitel, sachkompetent und heiter... Eine Meisterleistung!
Kommentare (0) anzeigenausblenden