Autor | Lynn Margulis |
Verlag | Westend |
Umfang | 187 Seiten |
ISBN | 978-3-86489-210-3 |
Preis | Fr. 26.90 (UVP) |
Viel Leidenschaft und Selbstvertrauen waren nötig, damit die Erkenntnisse und neuen Denkansätze der amerikanischen Biologin Lynn Margulis schliesslich ihren Weg in die Lehrbücher fanden. Zu ungewohnt war ihre Theorie, zu weit reichte sie über ihre Fachdisziplinen der Mikrobiologie und Genetik hinaus, als dass sie von einer sich gerade immer tiefer ins Detail verkapselnden Naturwissenschaft gewürdigt werden konnte. Indessen ist die beharrliche Vordenkerin aus den biologischen Wissenschaften nicht mehr wegzudenken. Doch so prominent sie indessen auch sein mag: Was nun Lynn Margulis Beitrag zur Evolutionswissenschaft genau bedeutet, wurde dem Laienpublikum meist nur ungenügend vorgeführt - obwohl er nicht zuletzt diesem Laienpublikum wesentliches zu sagen hat. Ebendies berichtigt dieses Buch.
Die neu akzentuierte Sicht der Evolution, wie sie Lynn Margulis in diesem Buch vorstellt, stützt sich auf ihre Theorie mit dem sperrigen Namen "serielle Endosymbiontentheorie". Zur Entschlüsselung stürzen wir uns auf den darin enthaltenen Begriff der Symbiose. Üblicherweise denken wir dabei an die Symbiose zweier unterschiedlicher Organismen - von Pilzen und Bäumen etwa -, also an eine Exosymbiose. Die Endosymbiose ist hingegen eine Symbiose innerhalb eines Organismus. Das läuft so: Ein Bakterium trifft auf ein Bakterium. Hallo, sagt die eine Bakterie, komm doch rein. Und weil es Kaffee und Kuchen gibt und überhaupt sehr gemütlich ist, bleibt dann die zweite Bakterie in der ersten und hilft dafür im Haushalt, indem sie etwa ihre Fähigkeit, aus Sauerstoff Energie zu gewinnen, zur Verfügung stellt. Bald schon sprechen wir von ihr nicht mehr von einer Bakterie, sondern von einer Organelle, einer Mitochondrie oder, wer weiss, einem Zellkern. Diese Endosymbiosen, nachweisbar an der verbliebenen bakteriellen DNA der Zellorgane, stehen damit am Anfang der Zelle und des mehrzelligen Lebens, und seriell sind sie... aber das würde nun den Rahmen unserer kleinen Buchbesprechung sprengen.
Jedenfalls: Diese ihre Theorie mit ihren Konsequenzen betreffs der Evolutionsgeschichte, der Entwicklung der Sexualität oder überhaupt unserer Definition biologischer Spezies breitet Lynn Margulis im ersten Teil ihres Buches knapp, aber eingehend vor uns aus. Wem das nun eine arg akademische Diskussion scheint... Nein, anders: Die Evolutionsgeschichte, so lernten wir, lässt sich hübsch ordentlich am Bild eines Baumes darstellen. Da entspringt aus einem Ast ein Zweig, der sich dann streckt und streckt, bis er sich wieder teilt oder auch mal abstirbt. Die Spezies ist damit klar abgegrenzt, ihre Entwicklungsgeschichte die Erzählung eines Strebens nach "oben". Dass sich plötzlich eine Zweigspitze von links hinten in den Ast oben Mitte bohrt, ist nicht vorgesehen. Genau das ist aber die Folge von Margulis Beweisführung: Der Baum kringelt sich zu einem verblüffenden Geflecht von sich teilenden und vereinigenden Strängen zusammen. Das ist schlecht für den Baum, aber ungeheuer befruchtend für die Biowissenschaften.
Es stellt darüber hinaus so allerlei unserer Vorstellungen unserer selbst und der Funktionsweise von Ökosystemen in Frage. Diese Auswirkungen ihrer Erkenntnisse erforscht die Autorin im zweiten Teil des Buches. Sie verteidigt da unter anderem, wie ja aktuell auch Bruno Latour, die Gaia-Theorie. Die entkleidet sie aller metaphysischen Anhängel und gibt uns daraus eine einfache, aber fundiert herausgearbeitete Botschaft auf den Weg: Dass wir in unser lebendiges Umfeld noch profunder eingewoben sind, als wir es uns in unseren ärgsten Träumen dachten. Und dass es deshalb bei all unserem Mühen um den Schutz unserer Umwelt vordringlich – und existenziell – um uns selbst geht: Unsere Lebensgrundlagen, unser Überleben als Spezies.
Wenn wir dieses Buch jetzt als einen dem interessierten Laien zugänglichen, lohnenden Einstieg in Lynn Margulis Bereicherung der Evolutionswissenschaften und der Ökologie loben, so tun wir das in gutem Zutrauen der Fähigkeiten unserer Leserinnenschaft. Tatsächlich setzt es eine geübte Vertrautheit mit Terminologie und Grundlagen der Mikro- und Zellbiologie voraus - ansonsten sich die Lektüre schnell zu einem zeitaufwändigen Unterfangen entwickeln dürfte. Darüber helfen dann auch die autobiografischen Einschübe und enthusiastischen Plaudereien der Autorin nicht hinweg, so unterhaltsam und lehrreich diese auch sind. Ebenfalls darf gesagt sein, dass über manches Detail von Margulis Theorie, wie sie sie uns hier darlegt, das letzte Wort noch nicht gesprochen sein mag. Es ändert nichts. Dies ist ein wichtiges, belangreiches, profund bereicherndes Buch; eines, das folgenreiche Dinge damit anstellt, wie wir die Welt sehen.
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