Buch «Von den Bakterien zu Bach - und zurück»

Buch «Von den Bakterien zu Bach - und zurück»

Die Evolution des Geistes

Gerade haben Sie sich einen Gedanken gemacht. Da, schon wieder! Sollte es Sie interessieren, wie's kommt, hat Daniel C. Dennett ein paar Anregungen für Sie. Die Gedanken, die Sie so denken, werden danach nicht mehr dieselben sein.

 Autor Daniel C. Dennett
 Verlag Suhrkamp
 Umfang 511 Seiten
 ISBN 978-3-518-58716-4
 Preis Fr. 45.90 (UVP)

 

Seit seinen jungen Studienjahren beschäftigte Daniel C. Dennett die Frage, was genau das Bewusstsein ist, und mehr noch, woher es kommt. In der Verfolgung dieses Rätsels stieg der studierte Philosoph zu einem der führenden Bewusstseinsforscher auf. Dabei zeichnete er sich - damals noch ungewöhnlicher als heute - speziell dadurch aus, dass er dem menschlichen Denken und Verstehen keinen transzendenten Sonderstatus zusprach, sondern seine Entstehung gänzlich aus dem naturwissenschaftlich Fassbaren nachzuvollziehen suchte. Im Zuge dessen umarmte er nicht nur die biologischen und neurologischen Wissenschaften, sondern wurde zu einem gewichtigen Verteidiger der Evolutionstheorie. Sein neues Buch widmet sich nun als ein eigentliches Magnum Opus dem Unterfangen, seine in über fünfzig Jahren gefassten Schlüsse, Ansichten und Erkenntnisse zur Evolution des Geistes auf den Punkt zu bringen. Oder auf die Punkte. Oder...

Die Schwierigkeit ist die: Daniel C. Dennett Gedanken bewegen sich vielfach ein ganzes Stück ausserhalb dessen, was wir intuitiv über unser Denken und über das "Bewusstsein" zu wissen glauben. Er stellt diese Annahmen nicht selten auf den Kopf (oder auf Füsse?). Und da er das weiss, wendet er gebührende Mühe auf, uns mit seinen Ideen wenigstens vorübergehend zu versöhnen, indem er sie ausführt, reflektiert und untermauert, was dann aber nicht immer im geradlinigen Gedankenstrang geschehen kann. So führt er uns durch seine Darstellung in einer aufsteigenden und immer wieder rückbezüglichen Spiralbewegung, die einiges von uns fordert. Als ganz nützlich stellt sich diesbezüglich heraus, Daniel C. Dennett für die Dauer der Lektüre schlicht als Sensei zu akzeptieren und all die hochschiessenden Einwände hintanzustellen: Die werden nach abgeschlossener Konzentrationsleistung schon zurückrufen.

Jetzt aber etwas Fleisch an den Knochen: Welche Kopfstände vollführt er? Ein Beispiel: Üblicherweise setzen wir voraus, es sei unser Verständnis eines Gegenstandes, das uns Kompetenzen im Umgang mit ihm verschaffe. Unser Begreifen der Funktionsweise des Bohrers ermöglicht uns die Kompetenz darüber, durch den Zaun in den Garten des Nachbars zu spähen. So funktioniert meistenteils unser Lernprozess; ein Top-to-bottom-Prozess vom übergeordneten Zusammenhang zur speziellen Anwendung. Daniel C. Dennett führt uns nun vor, wie es umgekehrt geht - und im Zuge der Evolution des Bewusstseins wohl gegangen ist: Ein Bottom-up-Zuwachs von einfachen, geistlosen Kompetenzen zum Nachdenken über die Natur des Universums und uns selbst. Kompetenz ohne Verständnis, wie er es eingängig umreisst, und wie daraus in einer evolutiven "Auswahl" von nützlichen Kognitionseinheiten Hubschrauberrotoren und Bachs Kantaten entstehen. Er vollzieht damit für die Bewusstseinsforschung jene Umkehrung des Denkens, die Darwin für die Naturphilosophie errang: Weg von göttlicher Einflussnahme zum unverständigen, aber schlauen und schaffenstüchtigen Regelalgorithmus.

Ach ja, Gott. Man kann kaum von Dennett sprechen, ohne von Atheismus zu sprechen. Immerhin dürfte er dafür fast bekannter sein als für seine Forschung. Da es aber in diesem Buch um seine Forschung geht, ziehen wir seinen Atheismus jetzt nur als Veranschaulichung seiner Herangehensweise heran. Denn auch wenn wir oben sagten, es sei ein anforderungsreiches Buch, soll das keinesfalls bedeuten, es sei ein trockenes oder gar abweisendes. Da mögen dann etwa regelmässig Seitenhiebe gegen Kreationisten und dogmatische Mystiker einfliessen, aber sie entbehren durchweg der hintergründigen Strenge, die etwa dem Rationalismus Dawkins' angekreidet wird. Daniel C. Dennetts amüsierte Wärme und seine freundschaftliche Fasslichkeit tragen wesentlich dazu bei, seine Erläuterungen auch in den Momenten intellektuellen Anspruchs unterhaltsam und dem interessierten Laienpublikum offen zu halten.

Bleibt noch, sein bemerkenswertes Werk in unseren ökologischen Themenbereich einzuordnen. Da fällt es erst mal heraus. Als eine theoretische Abhandlung legt es aber Fundamente, an denen gerade auch ökologische Diskussionen sich neu verankern können. In der Tierrechts-Debatte etwa positioniert sich Dennett auf der Seite der Spielverderber - jener also, die die Vergleichbarkeit von menschlichem und delfinischem Bewusstsein anzweifeln. Das wird ihm im augenblicklichen akademischen Klima Widerworte einbringen - wie auch seine wohl schon fast reputationsgefährdende Verteidigung des Konzepts der Meme. Diese Widerworte (die er herausfordernd antizipiert) werden dann aber bessere, fundiertere Widerworte sein müssen. Sein Buch ist einer jener seltenen, grossen Würfe, die sich nicht so sehr auf eine Spezialfrage festlegen lassen, als dass sie die Vielzahl solcher Fragen in neue, unentdeckte Gefilde steuern. Wir jedenfalls wollen es riskieren, es schon jetzt zu dem Buch zu ernennen, das unser Denken in diesem Jahr nachhaltigst veränderte und befruchtete. Wer es mit ihm aufnehmen will, muss sich einiges einfallen lassen.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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