Autor | Norbert Sachser |
Verlag | Rowohlt Verlag |
Umfang | 256 Seiten |
ISBN | 978-3-498-06090-9 |
Preis | Fr. 27.60 (UVP) |
Das wissenschaftliche Bild vom Tier war die längste Zeit geprägt von der kartesianischen Vorstellung der Tiere als "Instinktautomaten“. Dieses mehr philosophisch als biologisch inspirierte Tierbild verhärtete sich zur Dogmatik und schob abweichender Einsicht recht effektiv den Riegel. Das war wohl obendrein Ausdruck eines mechanistischen Zeitgeists, zwangsläufig war es nicht: Bereits Darwin hielt den Menschen in seinem Gefühlsleben den anderen Tieren für vergleichbar. Gleichwohl ging es noch eine Weile hin, bis mit Karl von Frisch oder Konrad Lorenz jener Aufstieg der Verhaltensforschung startete, in deren Folge in den letzten zwanzig Jahren die Berichtigungen unseres Tierbilds einander die Klinke in die Hand gaben. Diese spannenden Jahre und revolutionären Einsichten, die Norbert Sachser als Verhaltensforscher miterlebte und mitprägte, bringt er uns in seinem faszinierenden Buch nahe.
Der Professor für Zoologie gestaltet seinen Streifzug durch die Forschungen und Erkenntnisse zur Kognition und Lernfähigkeit, zu Gefühlsleben und Individualentwicklung der Tiere kompakt. Sein Buch gesellt sich damit nicht zu den leichtfüssigsten Lektüren zum Thema, verständlich und kurzweilig bleibt es darüber gleichwohl. Das gelingt dem Autor nicht zuletzt vermöge seines reichen Fundus an Geschichten und Veranschaulichungen aus seiner eigenen langjährigen Forschungstätigkeit. Norbert Sachser forschte hauptsächlich an Meerschweinchen, und dementsprechend oft kehren wir zu diesen zurück, wo es um zentrale Dynamiken wie Dominanzhierarchien und Stressbewältigung, Verwandtenselektion oder Entscheidungspräferenzen geht. Abseits dieses Halteseils bedient er sich aber weit und breit der anschaulichsten Beispiele der verschiedenen Paradigmenwechsel im Tierbild, wie sie von der Verhaltensforschung im Zusammenspiel mit Genetik, Neurowissenschaften oder Hormonforschung angestossen wurden. Die Befunde, dass Tiere tatsächlich fühlen, spielen, denken sind dabei nur das eine. Dahinter stehen vielerlei bahnbrechende Umschwünge wie jene von der Instinktlehre zur Gen-Umwelt-Interaktion, von der Konditionierung zum Nachweis eines einsichtigen Lernens bei Tieren oder die Entdeckungen der lebenslangen Verhaltensplastizität und der Tierpersönlichkeit.
Neben dieser einprägsamen Einführung in das aktuelle wissenschaftliche Verständnis des tierlichen Gefühlslebens und Verhaltens legt Norbert Sachser ein weiteres Augenmerk auf die Vermittlung der Geschichte und der Methoden der Verhaltensbiologie. Das hat gleich zwei Vorteile. Zum einen den offensichtlichen, dass wir damit kompetenten Einblick in ebendiese Methoden erhalten - nebst höchst verständlichen Erläuterungen auch diffiziler Evolutionsdynamiken. Zum andern den, dass er uns zugleich die Motive und Argumente wissenschaftlicher Vorsicht fassbar und angelegen macht. Wir erhalten damit insgesamt einen ebenso begeisterten wie reflektierten Überblick des gegenwärtigen wissenschaftlichen Tierbilds, wie er sich selten so versiert zusammenfügt.
Aus der Diskussion um Tierwohl und Tierrechte hält sich Norbert Sachser bei alledem weitgehend heraus. Zwar erhaschen wir im Augenwinkel einen kurzen Seitenhieb auf Hilal Sezgin, "Artgerecht ist nur die Freiheit", wenn er ausführt, wie der Begriff "artgerecht" ja überhaupt nur auf freie, also Wildtiere anwendbar sei. Am Gesamtbild des Autors als engagiertem Vermittler eines von neuem Respekt und Einfühlungsentschluss geprägten Tierbilds ändert das nichts. "Es steckt viel mehr Mensch im Tier, als wir uns vor wenigen Jahren noch haben vorstellen können": Das ist seine zentrale Botschaft, und den Wert seiner Forschung beschreibt er spezifisch auch in ihrer faktischen Unterfütterung der Bestrebungen zum Tierwohl. Norbert Sachser mag sich mit eigenen Meinungen zur Tierwohldebatte behutsam zurückhalten, sein Buch empfiehlt sich um nichts weniger als ein urteilsfähiges Fundament zur Feinabstimmung diesbezüglicher Ideen - wie ja als ein vorzüglich sachkundiges und lohnendes ohnehin.
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