Autor | Andreas H. Segerer / Eva Rosenkranz |
Verlag | oekom |
Umfang | 204 Seiten |
ISBN | 978-3-96238-049-6 |
Preis | Fr. 27.60 (UVP) |
Insekten - speziell Wespen - sorgten diesen heissen Sommer verschiedentlich für negative Schlagzeilen. Vielleicht der falsche Zeitpunkt, um ein Buch über das Insektensterben herauszubringen? Oder gerade der richtige... Denn dass die Insekten überhaupt wieder einmal ins breitere öffentliche Bewusstsein sickern, kann genutzt sein, sie uns über ihre ärgerlichen oder gar gefährlichen Eigenschaften hinaus bekannt zu machen: Als den unverzichtbaren und faszinierenden Teil der unsere Existenz begründenden Ökosysteme, die sie sind. Genau damit startet der Entomologe und Schmetterlingskundler Andreas H. Segerer sein belangreiches Buch, bevor er dann zum Eigentlichen vorrückt: Den Belegen, Zusammenhängen und absehbaren Folgen des grossen Insektensterbens, das sich still und leise um uns herum vollzieht.
Es war die zu einiger Berühmtheit gelangte "Krefeld-Studie", die dieses Jahr die besorgniserregende Nachricht in die Welt setzte, dass wir in den letzten 27 Jahren dreier Viertel der reinen Menge an Insekten verlustig gegangen seien. Diese Studie mag - wie jede Einzelstudie - ihre individuellen Macken haben: Dass sie nur Fluginsekten erfasste, dies nur in Naturschutzgebieten usw. Doch ganz gleich, wie ihre Daten sich im weiteren Kontext noch relativieren werden, setzte sie hauptsächlich einen Schlussstrich unter verschiedene Abwiegelungen und Ausflüchte und gab zur Kenntnis, was sich unter Entomologen und Ornithologen längst herumgesprochen hatte: Das grosse Insektensterben ist real. Und es vollzieht sich umfassender, als befürchtet wurde. Andreas H. Segerer setzt uns die Belege zusammen und macht uns deutlich, was das für unsere Lebensgrundlagen und uns selbst bedeutet. Dass das wenig Gutes sein kann, lässt sich schon daran festmachen, an welch zentraler Stelle die Insekten in der Nahrungskette stehen. Er erweitert diese Feststellung anhand seines breiten Fachwissens und anschaulicher Beispiele um die spezifischeren Dienstleistungen, die die Insekten erbringen: Als Bestäuber, als Schädlingsbekämpfer, als Recycler, um nur einige zu nennen.
Die Suche nach den Ursachen des Insektensterbens zeigt sich dann als der heikelste Teil seiner Ausführungen. Schon einmal darum, weil sich hier die Kausalitäten nicht sauber abgegrenzt präsentieren, sondern als vernetzte Bündel: Bodenversiegelung, Pestizide, Stickstoffkreislauf, Lichtverschmutzung, Habitatsverinselung... All das spielt zusammen, doch in welcher Gewichtung, ist noch nicht so klar. Und in diesem Sinne springt uns Andreas H. Segerer dann etwas zu eifrig auf den fahrenden Zug, wenn er politisches "Versagen überall" feststellt und sich vorrangig die intensive, ökonomisierte Landwirtschaft zur Brust nimmt. Nicht, dass wir denken, die sei hier als Ursache auszuschliessen. Nur irritiert uns zunehmend die Selbstverständlichkeit, mit der man sich auf sie als einen bequemen, äusseren Sündenbock einschiesst. Im Zuge dessen regte sich uns die Sorge, ob darüber nicht wesentliche weitere Forschungsmotive vernachlässigt werden.
Überhaupt bleibt uns Andreas H. Segerer in seinem Tanz zwischen Alarmismus und Relativierung ein, zwei Mal zu oft in der Figur des Alarmismus stehen. Dies jetzt in Verbindung mit seiner lebhaften Leidenschaft zu bringen - die seine bedeutsame Erläuterung ja insgesamt unbedingt bereichert -, fällt nicht schwer. Es begünstigt indessen die Lesart seiner abschliessenden Zehn-Punkte-Agenda der Lösungsmassnahmen als einer mehr der radikalen Agrarwende denn einem zielsuchenden Insektenschutz auf den Leib geschriebenen. Die Gegenmedizin dazu erwächst dem Buch dann glücklicherweise gleich in Gestalt von Eva Rosenkranz, die sein letztes Drittel bestreitet. Darin vermittelt sie neben dem bemerkenswert tiefschürfenden Wissen darum, was wir als Privatpersonen im eigenen Garten und im persönlichen Engagement für die Insekten tun können, auch eine zielführende Vision des Schulterschlusses von Bürger- und Bauernschaft.
Eva Rosenkranz bemerkt nicht nur erwachendes Interesse von Städtern daran, was sie zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen können, sondern auch der Bauern, sich eines grundlegenden Umdenkens zu befleissigen. Hier Zusammenarbeit statt Feindbilder zu stiften, macht sie uns mit wenigen, geistreichen Worten ebenso zum Anliegen wie den Wert auch kleinerer, privater Aktionen, mit dem Insektenschutz schon mal selbst anzufangen. Damit schliesst das Buch in gelingendem Gleichgewicht von Aufrüttelung und Zuversicht. Es ist ein informatives, gefällig leserfreundliches und vor allem ein wichtiges Buch. Zur Lektüre ist nachdrücklich geraten.
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