Autor | Rachel Levin |
Verlag | Malik |
Umfang | 140 Seiten |
ISBN | 978-3-89029-505-3 |
Preis | Fr. 26.90 (UVP) |
Üblicherweise haben wir es hier bei unseren Buchbesprechungen ja eher mit den Tieren, die vor den Menschen geschützt werden müssen. Bei diesem Buch der Journalistin und Reiseautorin Rachel Levin können wir jetzt den Spiess einmal umdrehen: Es handelt davon, wie wir uns zielführend vor Tieren schützen. Man kennt die Situation. Da geht man am Sommerabend durch den Stadtpark, vor sich hin summend, ein Honigbrot in der Hand, als sich plötzlich aus dem Geäst ein Schwarzbär auf einen stürzt. Wie sich verhalten? Tot stellen? Mit den Armen fuchteln? Wegrennen? Kleinlaut das Honigbrot aushändigen? Rachel Levin weiss es - und ja, sie orientiert sich dabei durchaus an wahrscheinlicheren Tierbegegnungen als wir hier in unserer Einführung.
"Versuchen Sie nicht, Ihren Hund zu retten. Sorry." Dieser instruktive, zu beherzigende Satz steht dementsprechend nicht im Kapitel zum Puma oder zum Elch, sondern in jenem zur titelgebenden Kuh. Auch wenn es unseren Instinkten zuwiderläuft, sind Todesfälle per Kuh vielfach wahrscheinlicher als, sagen wir mal, von einem Wolf oder einem Hai angegriffen zu werfen. Das liegt in diesem Fall schon am reinen Zahlenverhältnis - viele viele Kühe, sehr sehr wenige Wölfe -, aber es liegt auch an mangelndem Respekt. Diesen Respekt auch im Outdoor-beflissenen Städter wieder zu wecken, ohne ihn darüber gleich in die Empfindung einer akuten Bedrohungslage kippen zu lassen; das ist es, was der Autorin mit Sachverstand, kritischer Recherche und einer feinen Portion Humor ganz bestens gelingt. Wobei es längst nicht nur um lebensbedrohliche High-Noon-Gegenüberstellungen von Wandervogel und Raubtier geht, die sie uns mit präzisen Verhaltensanweisungen zu entschärfen weiss, sondern ebenso um all die kleineren Ärgernisse und Belästigungen dort, wo die Tierwelt in unseren Alltag einrückt. Um Tauben also, Fruchtfliegen, Gänse, Ratten, Hunde, Eichhörnchen, Alligatoren...
Nun ist Rachel Levin Amerikanerin; wohnhaft in San Francisco, Mutter. Letzterem verdankt sich, dass sie bei so vielen ihrer potentiell heiklen Tierbegegnungen die Lenkung der kindlichen Begleitung gleich mitdenkt. Ihrer Herkunft wiederum ist ein leichter Fokus auf die nordamerikanische Fauna geschuldet. Den vermag die Übersetzerin Ebba D. Drolshagen nicht immer, aber doch in den meisten Fällen zweckvoll auf die informativen Bedürfnisse europäischer Leserinnen auszuweiten, so dass sich das Buch seinen Wert über den Kreis polyglotter Backpacker hinaus bewahrt. Für Badestrandbesucher beispielsweise, die sich der stetig steigenden Zahl des Klimaprofiteurs Qualle ausgesetzt sehen oder lernen, wie der Fuss nach dem Tritt in den Seeigel zu behandeln ist. Für Urbane, die erfahren, wie sie es vermeiden, auf die Most-Wanted-Liste von Krähen gesetzt zu werden. Oder schlicht für Mutter/Vater, die ihren Nachwuchs von Laus oder Zecke befreien wollen.
Wenn sich unserem tierschützerisch ornamentierten Gemüt überhaupt ein Grund zur Klage beigesellt, dann höchstens der, dass sich im Unterton der Texte gelegentlich vermittelt, die Welt gehöre ja im Grunde doch uns Menschen ganz allein; den Tieren allenfalls als wunderlichen Eindringlingen. Das mag dann allerdings auf die Intention Rachel Levins nicht im Geringsten abzufärben, die sich in ihrer allerletzten Anweisung trefflich artikuliert: "Liebe Tiere, fürchte sie nicht" - oder eben nur in dem stimmig abgewogenen Mass, zu dem ihr Buch uns so umsichtig anleitet. Es leistet damit seinen kleinen, wertzuschätzenden Beitrag zum anzustrebenden Friedensvertrag zwischen dem nackten Affen und aller anderen Kreatur.
Neben den von berufener Stelle gesammelten Handlungsanweisungen, Anti-Kakerlaken-Rezepten und zoologischen Porträts mag das kompakte Büchlein schliesslich auch noch gestalterisch zu gefallen. Da wären zum einen die kleinen, erholsamen Berichte verschiedener Autorinnen, die, meist bewaffnet mit einem gefälligen Mass Selbstironie, ihre Erlebnisse Auge in Auge mit Kojote, Bettwanze oder Kaninchen zum Besten geben. Mehr noch aber sind es die stimmungsvollen Illustrationen von Jeff Östberg, die sich dem Inhalt geschmeidig anfügen und das Buch über den Status eines reinen Ratgebers heben. Ergäbe sich dieses Urteil nicht schon aus der dichtgepackten Leistung Rachel Levins, würde spätestens da offensichtlich: Hier wurde ein lobenswertes Stück Aufwand über das inhaltlich notwendige Mass hinaus betrieben.
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