Buch «Entwertung»

Buch «Entwertung»

Eine Geschichte der Welt in sieben billigen Dingen

Der Kapitalismus mag seine Produktionsmittel gerne billig - und sorgt dafür, dass sie es bleiben. Wie er das anstellt, setzen Raj Patel und Jason W. Moore uns in ihrem provokanten sozialhistorischen Abriss anschaulich auseinander.

 Autor Raj Patel / Jason W. Moore
 Verlag Rowohlt Berlin
 Umfang 349 Seiten
 ISBN 978-3-7371-0052-6
 Preis Fr. 33.10 (UVP)

 

Wie der Kapitalismus es schafft, sich seine Produktionsmittel billig anzueignen und sie dann in diesem Zustand der Billigkeit zu halten, war schon Thema einiger unserer Artikel und auch vieler der hier in den Buchtipps besprochenen Bücher. Meist ging es dabei um ein Einzelthema. Um die Umwelt natürlich, wenn aufgezeigt wird, wie unsere irdischen Ressourcen, die ökologischen Dienstleistungen oder die Tiere als Güter ohne Eigenwert ausgebeutet werden. Oder um die Arbeit, wenn sich dargelegt findet, wie Produktionsstätten in konsequenter Ausweichbewegung von Arbeitsrechten und Emanzipationsbewegungen wegwandern. Der Ökonom Raj Patel und der Sozialhistoriker Jason W. Moore bringen nun ihrem ambitionierten Buch sieben dieser billigen Dinge in historischen und gegenseitigen Zusammenhang. Als da wären: Billige Natur, billiges Geld, billige Arbeit, billige Fürsorge, billige Nahrung, billige Energie, billige Leben.

Selbstredend meinen die beiden Autoren das Wörtchen "billig" nicht nur im Sinne von preisgünstig. Sie meinen es genau so, wie wir alle es meinen, wenn wir für ein Produkt bewusst das Wort "billig" wählen: Im Sinne eines nicht nur im finanziellen, sondern im inhärenten Wert minderwertigen, wo nicht gar wertlosen Guts. In sieben gut überschaubaren Kapiteln - sowie einer Einführung und abschliessenden Zusammenführung - machen Raj Patel und Jason W. Moore uns mit den Haupt- und den wesentlichen Nebenschauplätzen vertraut, an denen die kapitalistische Gestaltungsmacht ihren Hebel ansetzt, um natürliche und soziale Güter (commons) künstlich abzuwerten. Sie zeigen dabei auf, wie diese "Verbilligung" sich vollzieht und wo und wie sie sich aktuell auf dem Globus manifestiert - nämlich überall. Auch wenn dies in obiger Auflistung hier und da noch so scheinen mag, repetieren sich die verschiedenen Themenkreise dabei nicht. Dass sie sich hingegen überschneiden und gegenseitig ergänzen, ist selbstverständlich.

Als eine Kritik an der Patel/Moore'schen Weltsicht lässt sich gewiss monieren, dass nicht alle von ihnen angeführten Entwertungen per se kapitalistische sind. Selbst wenn sie den Start des Kapitalismus mit dem Beginn der Neuzeit historisch recht früh ansetzen, fanden sich vordem schon reichlich Anlässe, sich beispielsweise an natürlichen Ressourcen ausbeuterisch zu bedienen. Ebenso wussten bereits die antiken Hochkulturen, sich billige Arbeitskräfte zu beschaffen, und auch die Frau musste sich nicht bis zum kolonialistischen Vorstoss Europas gedulden, um sich der fürsorgerischen Arbeit zugeteilt und dafür schlecht entlohnt zu finden. Das ist den Autoren aber durchaus bewusst. Ihr Verdienst ist es, uns im systemischen Zusammenhang aufzuzeigen, wie sich diese Entrechtungen und Entmachtungen in der kapitalistischen Weltdeutung fortsetzen, verschärfen und/oder verschleiern. Dabei verdeutlichen sie, wie die fundamentalen Mechanismen dieser Weltdeutung auch im kapitalismuskritischsten Geist weiterwirken: Als konstruierte Dualismen und vermeintliche Gegensätze von Natur und Gesellschaft, Mann und Frau, Arbeit und Freizeit, Mensch und Etwas-weniger-Mensch...

Was uns schon heikler scheint, ist, wie die Autoren die vorgeführte Weltsicht verschiedentlich personalisieren. Das dient zwar der Veranschaulichung - wenn etwa aus Kolumbus Logbüchern oder päpstlichen Verlautbarungen zitiert wird -, aber es verführt auch dazu, den Kapitalismus als ein Machwerk böser Mächte bzw. Männer aus der eigenen Verantwortung auszuklammern. Ganz ungeachtet dessen, dass sich die zitierten Herren tatsächlich selten als moralische Leuchten hervortaten, trübt das ein Stück weit die Klarheit, mit der uns Jason W. Moore und Raj Patel den Kapitalismus als eine systemische und weltanschauliche Problemstellung beweisen. Dies ist ihnen wichtig, um deutlich zu machen, wie er nur im Widerstand gegen seine systemischen "Alternativlosigkeiten" überwunden werden kann… Oder, wie sie es so schön zusammenfassen: "Träum rebellisch!"

Der zweckmässigen Zielrichtung eines solchen Widerstands widmen sie sich dann im Abschluss ihres Buches. Sie machen da noch einmal bestens deutlich, dass wirksamer Umwelt- und Klimaschutz ohne eine Anstrengung zur sozialen und Verteilungsgerechtigkeit nicht zu haben ist. Betreffs der Organisation solcher Bemühungen bleiben sie mit der Darreichung von fünf programmatischen Grundsätzen weitgehend im theoretischen; wie sie sich ja insgesamt einem Einspruch gegen den theoretischen Unterbau des Kapitalismus verschreiben. Das mag uns jetzt nicht soweit berücken, dass wir ihr Buch als den "Grossen Wurf" der Kapitalismuskritik preisen möchten. Es bewährt sich aber nichtsdestotrotz als ein bereicherndes, provokatives und unbedingt lohnendes Buch für alle, die dem Genörgel am Kapitalismus eine möglichst planvolle Antwort folgen lassen wollen.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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