Autor | Richard Powers |
Verlag | S. Fischer |
Umfang | 618 Seiten |
ISBN | 978-3-10-397372-3 |
Preis | Fr. 35.90 (UVP) |
Romane handeln ja üblicherweise von Leuten, und so tut es auch dieser. Von vielen und ganz unterschiedlichen Leuten: Von Versicherungsvertretern, Bankerinnen, Künstlern, Biologinnen, Spieleprogrammierern, Einwanderern, Idealistinnen, Armeeveteranen... Ihre Lebenswege und Erfahrungen kreuzen und beeinflussen sich, oder auch nicht; persönlich oder anders, über ihre Taten, Gedanken oder ihren Nachlass... Jedoch die Hauptfiguren sind andere. Sie ruhen im Hintergrund, stehen allein und in Gruppen in der Gegend herum, souverän, still, manchmal verloren. Sie sind Wächter, Versehrte, Vertraute, Lehrer. Opfer; Götter. Bäume.
Unser Vertrauen, dass sich ökologische Belange neben den hierfür bevorzugten Genres des Thrillers, der Science Fiction und des Jugendbuchs auch in die Form des literarischen Romans giessen liessen, hat sich indessen schon mehrfach bestätigt - mal mit lauterem, mal leiserem Beifall unsererseits. Dieser Roman des amerikanischen Autors Richard Powers ist nun jener, auf den wir stets gehofft haben. Das ahnten wir schon nach seinem ersten Viertel, in dem er uns seine Protagonistinnen, bewegliche und verwurzelte, ausführlich vorstellt und nach dem wir verwundert feststellten, dass wir immer noch keinen Schimmer haben, wohin das jetzt führen soll. Aber uns längst unwiderstehlich gefesselt fanden. Es mag an seinem Tonfall liegen. Nüchtern poetisch, bedächtig lebendig, mit skeptischem Abstand auf emotionaler Tuchfühlung: Was so charakterisiert beim besten Willen nicht zusammengeht, verschweisst Richard Powers selbstbewusst zu einer bewegenden Erzählung:
Die Geschichte des streitbaren Widerstands gegen die rücksichtslose Abholzung der verbliebenen Wälder ist die grosse ökosensitive Erzählung Nordamerikas, und als solche fand sie sich auch schon unter den verschiedensten Gesichtspunkten aufgearbeitet. Richard Powers geht nun also keine unverschämt neuen Wege, wenn auch er sich diese Ballade von Treehuggern, Baumkronenbewohnern und Monkey Wrenchern aneignet. Die unverwechselbar eigenen Wege geht er darin, wie er das tut. Da mag sein Narrativ dem verbreiteten Epos von Erweckung, Aufstand, Katastrophe und Katharsis folgen, seine Leserschaft verführt er noch zu weiterreichenden Eingebungen. Während er beiläufig ein Gutteil der verblüffenden aktuellen Erkenntnisse zur Botanik und Ökologie der Bäume und Wälder in seinen Text webt, zielt er auf nicht weniger als die Herausführung seines Publikums aus der Anthropozentrik. Diese Öffnung des Blicks aus der menschlichen Selbstbezogenheit in die Geborgenheit, den Zorn und den Kummer der ganzheitlichen Wertschätzung des Lebensnetzes geschieht sachte. Sie geschieht ausserdem frei von Mystik und Romantisierung. Und sie mobilisiert starke (Mit-)Gefühle und Regungen, schwankend zwischen Nihilismus, Grimm und Glück, die sich dann für einmal auch auf nichtmenschliche Vertreter des irdischen Lebensgeflechts erstrecken dürfen.
Wobei wir jetzt keine Beweisführung auf Perfektion führen wollen. Gelegentlich führt uns Richard Powers in seinen Lebensskizzen zu tief ins Dickicht. Da waren mehr als ein Abschnitt, der uns weitgehend rätselhaft blieb, und sogar ein ganzer Erzählstrang, dessen Bedeutung fürs Gesamte wir, bei aller daraus resultierenden Kurzweil, nicht wirklich kapierten. Doch wir haben die leise Ahnung, dass uns da bei erneuter Lektüre noch das ein oder andere Licht aufgeht.
Da ist er jetzt also, der Roman, den wir uns ausmalten, wenn wir uns einen Roman von grundlegendem ökologischem Belang und Verdienst ausmalten. Wer sich ihm anvertraut, den oder die wird er erschüttern. Nicht laut. Niemand rennt aus dem Haus und verwirft die Hände über dem Kopf. Mehr im Sinne eines Bebens, das durch den Körper geht und vielleicht die Augen, die Ohren, die Nase erreicht. Die rüttelt es dann kurz durch. Und was die danach sehen, hören, schmecken, ist eine Welt bereichert um eine staunenswerte Fülle von gleichermassen sinnstiftenden wie schützenswerten Beziehungen.
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