Autor | Ludwig Fischer |
Verlag | Matthes & Seitz Berlin |
Umfang | 351 Seiten |
ISBN | 978-3-95757-703-0 |
Preis | Fr. 37.50 (UVP) |
Die literarische Erkundung der konkreten Natur, das Nature Writing, hat im Angelsächsischen eine lebendige und edle Tradition. Es siedelt irgendwo zwischen Selbsterfahrung und Feldforschung, Belletristik und populärem Sachbuch. Indessen scheint seine Zeit auch hierzulande gekommen: Das Nature Writing - auch das eigenständig deutschsprachige - fasst Fuss. Und damit ist es an der Zeit, sich mit ihm als einem genuinen Ausdrucksmittel, mit seinen Mitteln, Möglichkeiten und Motiven kompetent auseinanderzusetzen. Ebendies macht der Biologe und Literaturwissenschaftler Ludwig Fischer in seinem Buch.
Die Analyse, Charakterisierung und Auslegung einer literarischen Gattung mag als eine abstrakte und akademische Bemühung erscheinen. Und das ist es. Oder wäre es zumindest, wenn es nicht, wie in diesem Fall, von einem Autor vollzogen würde, dem die transformativen Möglichkeiten und der Wert des Nature Writing sehr lebendige Anliegen sind. Denn die selbstreflexive Erforschung von Natur und Landschaft, von nichtmenschlichen Mitwelten und ökologischen Zusammenhängen fragt immer auch nach der Position des Menschen in seiner Umwelt; eine Frage, deren Erörterung sich uns zurzeit mit erhöhter Dringlichkeit stellt. Nature Writing durchleuchtet und spiegelt Naturbilder und Naturwahrnehmung. Es zielt damit direkt auf die Wurzel unseres Umgangs mit Natur, mit Tieren, Pflanzen und Lebensräumen. Das ist, neben aller Durchleuchtung seiner literarischen Aspekte, Ludwig Fischers Anliegen: Uns klarzumachen, dass Nature Writing keinen Eskapismus, keine Schwärmerei von der harmonischen Natur und "wilden" Urzuständen betreibt. Und uns aufzuzeigen, welche Chancen und Besserungen unseres Naturverhältnisses es uns eröffnet.
Das könnte leicht schiefgehen. Ludwig Fischer könnte beispielsweise versuchen, die grenzüberschreitende Schreibtradition gleich wieder engzufassen, in Definition zu pressen und dann auszusortieren, was rechtes "Naturschreiben" ist und was nicht. Oder er könnte sich darin üben, dem Nature Writing ein ideologisches Mäntelchen zu stricken. Ebendies verweigert er standhaft. Er formuliert stattdessen 33 lose Thesen zum Selbstverständnis, zur Methodik, zur Form, zur Motivation, Geschichte und Verortung der Literaturgattung, die er mittels seiner breiten Vertrautheit mit ihren Werken auf die Probe stellt, belegt, kritisiert und schliesslich genau so stehen lässt: Als Thesen. Innerhalb dieser Betrachtungen aber unternimmt er eine so belangreiche und umfassende Diskussion unseres Naturverständnisses und unserer Naturwahrnehmung, dass sich schwerlich ein diesbezügliches Thema findet, zu dem er keine bereichernde Anregung offerieren kann. Um dabei jetzt nicht vollauf in der theoretischen Detaildebatte zu versinken, ergänzt er sie mit persönlichen, erzählenden Texten, die noch einmal einen anderen, sinnlicheren Zugang zu den Tummelplätzen des Nature Writing eröffnen.
Um diese persönlichen, sehr unterschiedlich ausgestalteten Schreibübungen - der Autor nennt sie Exerzitien - sind wir als Leser durchaus froh. Man darf Ludwig Fischer unterstellen, dass es ihm wohl verschiedentlich möglich gewesen wäre, seine Erörterungen eine Prise simpler zu gestalten - auch ohne dass ihm darüber alle gewünschte Präzision zwischen den Fingern zerronnen wäre. Doch das ist nicht der vorherrschende Eindruck, den sein Buch hinterlässt. Der ist stattdessen, sich da in einer gehaltvollen, herausfordernden und stimulierenden Diskussion wiedergefunden zu haben, die neue Horizonte eröffnete, weit über die literaturwissenschaftlichen Belange hinaus. Ludwig Fischer schafft mit seinem Buch fruchtbare Grundlagen für ein deutschsprachiges Nature Writing, das sich nicht in Imitation erschöpft, und setzt konstruktive Impulse für ein zeitgemässes, zukunftsfähiges Naturbild.
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