Buch «Beute, Ernte, Öl»

Buch «Beute, Ernte, Öl»

Wie Energiequellen Gesellschaften formen

An der verfügbaren Energie entscheidet sich Wohl und Wehe allen Lebens auf Erden. Ian Morris erläutert in seinem mutigen neuen Buch, wie sie im Falle des Menschen stets auch unsere Wertvorstellungen entscheidend prägte.

 Autor Ian Morris
 Verlag Deutsche Verlags-Anstalt
 Umfang 425 Seiten
 ISBN 978-3-421-04804-2
 Preis Fr. 36.50 (UVP)

 

Die These, die der renommierte britische Archäologe und Althistoriker Ian Morris in seinem neuen Buch aufstellt und verteidigt, ist diese: Dass unsere gesellschaftlichen Werte wesentlich bestimmt wurden (und werden) von den Voraussetzungen, wie und wieviel Energie wir erwirtschaften. Der Begriff Energie ist dabei in jenem allgemeinen, biologischen Sinn zu lesen, in dem der Energiehaushalt das Wohl und Wehe allen Lebens bestimmt – in Gestalt von Nahrung und den Aufwänden, an diese zu gelangen. Zur Argumentation seiner Behauptung unterteilt er die Menschheitsgeschichte in drei Abschnitte, an deren Anfang und Ende jeweils eine umwälzende Steigerung der Energieausbeute stand. Innerhalb dieser Zeitalter der Wildbeuter, der Bauern und der Fossilen Energie untersucht er die vorherrschenden Wertvorstellungen und die Strukturen der sozialen Organisation und erklärt sie auf Grund der Anforderungen, die die Energiegewinnung an die Menschen stellte.

Dass Ian Morris da mit reichlich breitem Pinselstrich über die Jahrtausende fegt, dürfte sich aus dieser kurzen Beschreibung seines Buches bereits erschliessen. Das ist aber mehr feature als bug; er sucht ja ausdrücklich nach den grundlegenden, evolutionären und kulturellen Triebkräften der sich ändernden Moralvorstellungen angesichts der Herausforderungen, vor die ein gemeinschaftliches Überleben uns stellte. Den Abweichungen von seinen idealtypischen Modellen der Wildbeuter-, Agrar- und Industriegesellschaften widmet er dann gleichwohl viel Aufmerksamkeit, während er uns in bestechend unterhaltsamem und angeregtem Tonfall seine Beweisgründe darlegt. Ein jedes Zeitalter kriegt die Werte, die es braucht, erklärt er einleitend, und belegt das dann für die moralischen Belange der wirtschaftlichen und politischen Gleichstellung, der Akzeptanz von Gewalt oder der Stellung der Frau.

Über mangelnden Mut können wir uns demnach schon einmal nicht beklagen: Selten die Historiker, die sich an derart kühne Entwürfe wagen. Dann unternimmt Ian Morris noch ein weiteres, das dem Selbstanspruch guter Wissenschaft zwar eingeschrieben, aber in populärwissenschaftlichen Schriften selten anzutreffen ist. Im zweiten Teil seines Buches gibt er vier Kolleginnen Raum, ihn und seine These in höflich angriffiger Manier zu zerpflücken, bevor er dann im Abschluss auf deren Einwände noch detailliert eingeht und seine Gedanken klarlegt und verfeinert. Die Kritikerinnen rekrutieren sich dabei – in Übereinstimmung mit dem vorrangigen Spielfeld seiner Argumentation – aus den Geistes- und Kulturwissenschaften, ergänzt um die visionäre Literatin Margaret Atwood. Da hätten wir uns zwar noch eine zusätzliche Stimme aus den biologischen Wissenschaften gewünscht, doch das Gros der erdenklichen Einwürfe und Ergänzungen findet sich auch in dieser Auswahl bereits fruchtbar abgedeckt.

Was ist davon nun zu halten? Viel, meinen wir, und sehen Ian Morris‘ aussichtsreiche Analysen und Berechnungen bereits als ein zweckvolles Werkzeug in den wissenschaftlichen Diskurs Einzug halten. Zwar sehen wir da eine gewisse Gefahr eines moralischen Relativismus oder fatalistischen Determinismus dräuen, ganz unbesehen davon, dass der Autor sich ausdrücklich dagegen verwahrt. Und ebenfalls wollen wir Ian Morris nicht flugs aus dem Verdacht entlassen, sein Denken sei vielleicht doch – wie von einem seiner Kritiker unterstellt – unterschwellig stärker vom Weltbild des Kapitalismus gefärbt als beabsichtigt. Doch derlei -Ismen übertünchen nicht die erhebliche Erklärungsmacht und die potentielle Nützlichkeit seiner Überlegungen - gerade auch im Kontext der anstehenden ökologischen Herausforderungen. Denn wenn, wie auch von Ian Morris mehrfach festgestellt, unser Aufbruch in eine hoffentlich nachhaltigere Zukunft von einer Korrektur unserer Wertvorstellungen abhängt: Wie wertvoll wäre es da, die Grenzen ihrer Umsetzbarkeit bereits zu erahnen…? Das kurzweilige, provozierende und ungemein bereichernde Buch gehört damit, unserer Einschätzung nach, verbindlich auf die Leseliste aller, die sich um die Gestaltung dieser nachhaltigen Zukunft bemühen.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

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