Autor | Bernhard Weßling |
Verlag | Goldmann |
Umfang | 411 Seiten |
ISBN | 978-3-442-31543-7 |
Preis | Fr. 28.90 (UVP) |
Wir zögern, Bernhard Weßling als Laien zu bezeichnen. Rein formal ist er das: Von Beruf Chemiker und als solcher auch ein erfolgreicher, ökologisch orientierter Unternehmer, betrieb er die Ornithologie als persönliche Leidenschaft „nebenher“. Doch selbst in diesem Umfeld der Vogelkunde, in dem sich bekanntlich eine Vielzahl von umtriebigen und gelehrten Laien tummelt, sticht sein Beitrag zur Erforschung der Kraniche weit heraus. Nennen wir ihn also stattdessen einfach einen Experten. Dass er sich das redlich verdient hat, daran kann angesichts seines faszinierenden, packend informativen Buches kein Zweifel bestehen.
Zu den Kranichen kam Bernhard Weßling, nachdem er aus dem Ruhrgebiet in die Nähe von Hamburg gezogen war. Dort, in den Naturschutzgebieten des Duvenstedter und Hansdorfer Brooks – das Wort Brook bezeichnet einen permanent gefluteten, sumpfigen Bruchwald – verpflichtete er sich als Bewacher der gefährdeten Kranichpopulation. Die Bewachung verband er mit intensiver Beobachtung. Angetan mit Neugier und Tatkraft entwickelte er ein Verfahren, die Rufe der Kraniche individuell zuzuordnen und darüber genaueren Einblick in ihr Revierverhalten, ihre Beziehungen untereinander und ihre Brutgewohnheiten zu gewinnen. Das brachte ihm Einladungen zur Erforschung von Kranichpopulationen in Japan, Nordamerika oder der demilitarisierten Zone zwischen Süd- und Nordkorea: Spätestens hier verbindet sich seine sensible ornithologische Berichterstattung mit einem reizvollen Hauch von Abenteuer.
Doch da sind wir in seinem Buch jetzt weit vorausgeeilt. Den Auftakt machen Bernhard Weßlings Schilderungen aus dem heimischen Brook, während derer er uns mit einer Vielzahl von Kranichpaaren bekannt und sie uns in ihrem Verhalten, ihrer Kommunikation und ihren kognitiven Leistungen staunenswert macht. Er verbindet sein Sachwissen zu den Lebensgewohnheiten oder dem Zugverhalten der Vögel dabei mit persönlichen Anekdoten in exakt dem richtigen Mass: Nämlich einem zurückhaltenden, das stets den Fokus auf den Tieren hält. Das Buch übermittelt dabei zwar ansteckend seine Leidenschaft für die faszinierenden und weithin rätselhaften Kraniche in aller Welt, doch über dem atmet es gefällige Ruhe und kritikfähige Besonnenheit.
Letzterer bedarf das Buch, da sich Bernhard Weßling im Abschluss noch ein Stück weit aus dem Fenster lehnt und seine Einsichten in eine Diskussion der Bewusstseinsfähigkeit und des Fühlens der Kraniche überführt: Ein Unterfangen, das wir in dieser Ausführung für ausserordentlich fruchtbar und hilfreich halten. Gewiss spekuliert er da oft, aber er spekuliert aus einzigartigem Erfahrungsschatz und solider wissenschaftlicher Grundlage heraus und scheut sich nie, seine Mutmassungen als solche zu kennzeichnen. Das verbindet er mit einem Plädoyer des bescheidenen Respekts gegenüber der Natur, das seine Wirksamkeit speziell dadurch gewinnt, dass sich dieser Respekt als eine Grundstimmung ohnehin durch den gesamten Text zieht. In seiner Entschlüsselung der kleinen, intimen Geheimnisse der Kraniche lockt sein Buch uns weiter hinaus als „nur“ in die bezaubernde Welt der Ornithologie: Es verlockt zur entdeckerischen, sorgsamen Teilhabe an unserer lebendigen Umwelt insgesamt.
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