Autor | Merlin Sheldrake |
Verlag | Ullstein |
Umfang | 443 Seiten |
ISBN | 978-3-550-20110-3 |
Preis | Fr. 32.90 (UVP) |
Pilze sind uns hauptsächlich über ihre Fruchtkörper bekannt. Diesen galt die längste Zeit die kulinarische, pharmakologische und sogar die mykologische, also die spezifisch pilzwissenschaftliche Aufmerksamkeit. Dass sie noch weit grundlegenderen Einfluss auf unser Leben und das irdische Leben überhaupt nehmen, drang erst in den letzten Jahrzehnten langsam ins öffentliche Bewusstsein. Merlin Sheldrake macht es sich nun mit diesem Buch zur Aufgabe, dieses Bewusstsein noch einmal drastisch zu weiten und uns einen kurzweiligen Überblick über die aktuelle Pilzforschung zu verschaffen.
Ganz exakt können wir es gar nicht fassen, was letzten Endes den unwiderstehlichen Zug ausübt, mit dem uns der junge britische Mykologie Merlin Sheldrake durch die über dreihundert Seiten seines Buches zerrt. Er bleibt in der Darlegung seiner Kenntnisse und Erkenntnisse nüchtern und sachbezogen, macht sich auch in den reich eingestreuten Schilderungen seiner persönlichen Erfahrungen nirgends der Effekthascherei verdächtig. Gewiss tut seine stets spürbare Leidenschaft hier Wirkung, doch sie allein ist es nicht. Auch die Tatsache, dass die vermittelten Einsichten immer wieder verblüffen und einen vielgestaltigen Gegenwartsbezug herstellen, hat daran Anteil. Letztlich wird es aber schlicht die Verbindung all dessen mit seinem literarischen Erzähltalent sein, die sein gehaltvolles Sachbuch zum formvollendeten Nature Writing aufrückt.
Merlin Sheldrake hat es also mit den Pilzen. Ihren Geheimnissen spürt er nach, während er sich zerbrechlichen Mycelsträngen entlang durch den Waldboden gräbt, im experimentellen Psilocybinrausch im Laborbett liegt, die Vielgestalt von Flechten zu ordnen sucht oder Schleimpilze durch Labyrinthe schickt. Neben der geballten mykologischen Wissensvermittlung spürt er dabei Fragen nach, die die Wissenschaften interdisziplinär beschäftigen. Wie entsteht Bewusstsein, und was macht es überhaupt aus? Wie schaffen es Pilze, das Verhalten von Ameisen zu steuern? Wie kommunizieren biologische Netzwerke, und was lässt sich daraus lernen? Und wie lässt sich der Geschmack von Erdbeeren verbessern?
Die weiterführende Stossrichtung tritt dabei immer deutlicher zu Tage. Als Lebewesen, die die irdischen Lebensnetze sowohl wesentlich gestalten wie auch organisches Material effizient zersetzen, tragen die Pilze vielfältiges Potential zu einer nachhaltigen Zukunftsgestaltung. Die Überlegungen dazu beschäftigen uns durch das gesamte Buch und intensivieren sich zum Schluss hin, wo Merlin Sheldrake den Methoden und Ansätzen nachforscht, aus Pilzen etwa Baumaterial zu züchten oder sie mit Zigarettenkippen zu füttern. Bei all unserer indessen doch stattlichen Vertrautheit mit ökosensitiver Literatur begegnete uns kaum je ein Buch, das die Gewinne, die wir aus einer geflissentlicheren Erforschung unserer natürlichen Umwelt ziehen können, derart eindrücklich und überzeugend vor Augen führt. Dass Merlin Sheldrake im Zuge dessen auch noch den Zauber der weithin unterschätzten Pilze so anregend zelebriert und seine Leserinnenschaft dabei trefflich unterhält, gibt unserer Empfehlung jetzt nur weiteren Zunder.
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