Autor | Harald Lesch / Jonas & Karlheinz A. Geißler |
Verlag | oekom |
Umfang | 271 Seiten |
ISBN | 978-3-96238-248-3 |
Preis | Fr. 29.-- (UVP) |
Harald Lesch dürfte in seiner Funktion als Wissenschaftsvermittler den meisten bekannt sein. Doch mehr noch als er sind es wohl Vater und Sohn Geißler, die den Anstoss zu diesem Buch setzten. Zeit ist ihr Lebensthema, unserem Umgang mit ihr widmen sie wesentliche Teile der ihren: Professor Karlheinz A. Geißler als zeitforschender Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler, Jonas Geißler als Speaker und Berater zu nachhaltigen Formen des Wirtschaftens. Zu ihrer neuen Veröffentlichung stösst nun mit gewohnt unterhaltsam-informativem Habitus Harald Lesch, um ihre Betrachtungen noch um die physikalischen Aspekte der Zeit zu bereichern. Die derart eröffnete Themenvielfalt führen sie zu einer schlüssigen Analyse zusammen, wie das gegenwärtige Zeitverständnis in Wirtschaft und Gesellschaft unserer Umwelt und uns selber schaden – und wie das sinnerfüllend zu ändern wäre.
Da gilt es – wie ja so oft, wo von Zeit die Rede ist – erst mal einen Blick in die Vergangenheit zu werfen. Im Rückblick legen die Autoren dar, wie mit der Dogmatik der Wachstumswirtschaft die bis dahin dem menschlichen Zugriff entrückte Zeit einer profitorientierten Verwertungslogik zugeführt wurde; am deutlichsten erkennbar wahrscheinlich in ihrer Monetarisierung als Arbeitszeit. Innerhalb dieser Dynamik prägte sie den Zwang der Beschleunigung, der sich nun derzeit, mit der Digitalisierung, zum „alles gleichzeitig und möglichst sofort“ gesteigert hat: Von uns so gefordert, doch von uns auch erwartet. Da daneben aber die Natur (und mit ihr unser Körper) ihre ganz eigene Zeitrechnung hat und sich in ihrem Beharren auf Regenerationszyklen nicht längerfristig überlisten lässt, folgt daraus zwangsläufig der Raubbau an ihr. Wie sich dieser in der Ökosphäre (vermittels Klimawandel oder Artensterben), aber speziell auch in unserem persönlichen Wohl abbildet, das arbeitet das Buch in seinem ersten Teil scharf, kundig und unterfüttert mit so manch verblüffender Einsicht heraus.
Die Diskrepanz zwischen unserer starr voranschreitenden Uhrzeit und den dynamischen Naturrhythmen im Hinblick auf unsere Nachhaltigkeitsbemühungen kritisch zu konfrontieren, beweist sich als das substanziellste Anliegen des Buches. Dieses Anliegen mit Argumenten zu stärken, gelingt ihm in der Gesamtschau überzeugend; wenn auch nicht in jedem Detail. Insbesondere Karlheinz A. Geißler neigt dazu, persönliche Beobachtungen zum allgemeingültigen Trend aufzupeppen, ohne uns diesen zu belegen. So ist dann auch der erste Teil des Buches - neben seinem profunden, kurzweilig vermittelten Wissensgehalt – noch vorherrschend geprägt von idealistischer Kulturkritik und stellenweise auch einer Verklärung der vorkapitalistischen Vergangenheit, die uns so nicht befriedigen würde. Doch da springt bereits Jonas Geißler herbei, um die offengelegten Problemfelder mit konstruktiven Lösungsentwürfen zu füllen.
So grundlegende Lebenswirklichkeiten wie Zeitempfinden und Zeitkultur lassen sich – der Umweltschutz hat’s uns gelehrt – nicht allein mit Appellen umgestalten. Dem trägt der erfahrene Zeitberater Rechnung, indem er Veränderungen in der persönlichen Zeitwahrnehmung und im gesellschaftlichen sowie unternehmerischen Zeitmanagement gleichermassen (und gegenseitig) anstösst. Da reflektiert er mit uns unsere Empfindungen von „erfüllter“ und „verschwendeter“ Zeit, während er andererseits Modelle entschleunigter Zeitgestaltung in ihrem politischen und wirtschaftlichen Umfeld pragmatisch auf ihre Anwendbarkeit abklopft. Den kreativen Chancen auf Veränderung verleiht er anhand verschiedener Beispiele von Initiativen und Projekten ein Gesicht. Auch hier mag sich noch manch vereinzelte Idee in ihrer Wirksamkeit erst beweisen müssen. Im Zusammenspiel entwirft sich aber ein glaubwürdiges und inspirierendes Bild einer Wirtschaft und Gesellschaft, die gleichzeitig mit einem pfleglicheren Umgang mit unseren natürlichen Ressourcen auch mehr Zeitwohlstand gewinnt.
Kommentare (0) anzeigenausblenden