Buch «Der Stoff, aus dem wir sind»

Buch «Der Stoff, aus dem wir sind»

Warum wir Natur und Gesellschaft neu denken müssen

Ein tiefgreifender Wandel unserer Beziehungen zur nichtmenschlichen Natur ist eine Überlebensfrage. Das ist schnell gesagt, doch schwer umgesetzt. Fabian Scheidler geht der Herausforderung an die Wurzel, indem er das technokratische Weltbild, das die gegenwärtigen ökologischen Krisen verantwortet, sorgfältig demontiert und mit einer wissenschaftlich belastbaren, aber ungleich kooperativeren und integrativeren Kosmologie ersetzt.

 Autor Fabian Scheidler
 Verlag Piper
 Umfang 300 Seiten
 ISBN 978-3-492-07060-7
 Preis Fr. 26.90 (UVP)

 

Atome. So wurde der Stoff, aus dem wir sind, damals in der Schule ihrem naiven Rezensenten beschrieben: Klitzekleine Bällchen, zusammengehalten von „Kräften“, aber gelegentlich auch herumschiessend wie enthemmte Billardkugeln. Gegen dieses mechanistische Weltbild reitet Fabian Scheidler, namhafter Autor verschiedener ökonomiekritischer Literaturen, in seinem neuen Buch seine kluge und engagierte Attacke.

Er macht das aus Gründen. In den technokratischen Denkmustern, die in unseren natürlichen Ressourcen einzig eine auszubeutende Verfügungsmasse zur kurzfristigen Habensmehrung entdecken wollen, erkennt er die wesentliche und ungebremste Triebkraft unserer gegenwärtigen ökologischen Krisen. Wie das zustande kam, und wie es sich auswirkt, erkundet er im ersten Teil seiner Denkschrift auf einem instruktiven Streifzug durch die Wissenschaftsgeschichte, insbesondere der Physik und Biologie. Unsere ursprüngliche Verdächtigung, der Philosoph und Dramaturg munitioniere hier nur zum fortzusetzenden Grabenkampf zwischen Geistes- und Naturwissenschaften auf, zerstreut sich dabei rasch. Zwar werden wir etwa bezüglich der Quantenphysik weiterhin eher den Erläuterungen ausgewiesener Quantenphysiker als Fabian Scheidlers Interpretationen derselben lauschen, und auch einigen seiner Einlassungen zur begrenzten Erklärungsmacht der Evolutionsbiologie würden wir vorerst mal noch widersprechen. Doch er bietet hier insgesamt ebenso sachsolide wie anschauliche Erläuterung und verfällt auch nicht der allzu verbreiteten Versuchung, naturwissenschaftliche Einsichten leichtfertig zu transzendieren. Während er im Zuge dessen den Naturwissenschaften gutspricht, aus der simpel mechanistischen Weltsicht zu einer der vernetzten Komplexitäten vorgestossen zu sein, zeigt er uns deren unverändertes Wirken in Technik und Wirtschaft an ihrem zerstörerischen Werk deutlich auf.

Hier befinden wir uns nun im Kern von Fabian Scheidlers Argumentation. Er macht eindringlich klar: Ein tiefgreifender Wandel unserer Beziehungen zur nichtmenschlichen Natur ist eine Überlebensfrage. Da dieser auf der mechanistisch verkürzten Weltdeutung, die unser vermeintlich „rationales“ Denken noch immer beherrscht, nicht gründen kann: Worauf dann? Fruchtbare Gegenmodelle findet er etwa in symbolisch-integrativen Mythologien indigener Völker - die er dann gleichwohl auch nicht überstrapaziert. Dem selben Gedanken folgend ruft er nach der erneuerten Integration der „Innenwelten“ – unserer subjektiven Wahrnehmungen, Konstruktionen und Deutungen der Welt – in die wissenschaftliche Forschungsmethodik und in die Entscheidungsfindung betreffend der zahlreichen Herausforderungen, die sich uns stellen. Seine Empfehlungen, wie letztere anzugehen wären, umfassen die wirtschaftlichen Realitäten ebenso wie die kulturellen und ökologischen. Fabian Scheidler skizziert so eine gewiss noch idealistische, aber doch konkret fassliche und faszinierende Kosmologie, die sich von der Sucht nach Kontrolle entwöhnt und uns in den grösseren Zusammenhang der belebten und unbelebten Natur zurückführt.

Es ist nun Schicksal jeden Buches, das derart weitläufige und grundlegende Thematik gleich noch mit verblüffendem Detailreichtum verziert, dass es uns im kleinen Detail vielleicht noch nicht abschliessend berückt. Erwähnt sei in diesem speziellen Fall etwa unser Zweifel, ob die geforderte Würdigung der „Innenwelten“ denn auch tatsächlich statt in ungefügem Subjektivismus in der erstrebten Intersubjektivität münden werde. Das behelligt unsere herzliche Empfehlung indessen keine Spur. Fabian Scheidler liefert uns hier einen gewichtigen, zielsicheren und höchst inspirierenden Anstoss zu einem Wahrnehmungs- und Wertewandel, dessen Notwendigkeit sich allgegenwärtig um uns beweist. Wir jedenfalls haben seine geistvollen Betrachtungen sogleich freudig eingefügt in den Stoff, aus dem wir sind.

 

Rezension: Sacha Rufer


 

 

Kommentar schreiben

Die Kommentare werden vor dem Aufschalten von unseren Administratoren geprüft. Es kann deshalb zu Verzögerungen kommen. Die Aufschaltung kann nach nachstehenden Kriterien auch verweigert werden:

Ehrverletzung/Beleidigung: Um einen angenehmen, sachlichen und fairen Umgang miteinander zu gewährleisten, publizieren wir keine Beiträge, die sich im Ton vergreifen. Dazu gehören die Verwendung von polemischen und beleidigenden Ausdrücken ebenso wie persönliche Angriffe auf andere Diskussionsteilnehmer.

Rassismus/Sexismus: Es ist nicht erlaubt, Inhalte zu verbreiten, die unter die Schweizerische Rassismusstrafnorm fallen und Personen aufgrund ihrer Rasse, Ethnie, Kultur oder Geschlecht herabsetzen oder zu Hass aufrufen. Diskriminierende Äusserungen werden nicht publiziert.
Verleumdung: Wir dulden keine Verleumdungen gegen einzelne Personen oder Unternehmen.

Vulgarität: Wir publizieren keine Kommentare, die Fluchwörter enthalten oder vulgär sind.

Werbung: Eigenwerbung, Reklame für kommerzielle Produkte oder politische Propaganda haben keinen Platz in Onlinekommentaren.

Logo von umweltnetz-schweiz

umweltnetz-schweiz.ch

Forum für umweltbewusste Menschen

Informationen aus den Bereichen Umwelt, Natur, Ökologie, Energie, Gesundheit und Nachhaltigkeit.

Das wirkungsvolle Umweltportal.

Redaktion

Stiftung Umweltinformation Schweiz
Eichwaldstrasse 35
6005 Luzern
Telefon 041 240 57 57
E-Mail redaktion@umweltnetz-schweiz.ch

Social Media

×

Newsletter Anmeldung

Bleiben Sie auf dem neusten Stand und melden Sie sich bei unserem Newsletter an.